Nadja Seipel ist Mama, Frau, Freundin und “Frauchen”. Und sie ist unheilbar krank. 2015 bekam sie die Diagnose Brustkrebs. Ihre Tochter war zu diesem Zeitpunkt gerade zarte fünf Jahre alt. Dann durchlitt sie eine Chemotherapie und verschiedene Operationen. Freud und Leid waren für sie nah beieinander. Daraufhin fing Nadja an, ihre Erlebnisse, die guten wie die schlechten, die lustigen und die traurigen, in einem Tagebuch niederzuschreiben. Um nicht zu vergessen und diese furchtbare Zeit besser verarbeiten zu können. 2016 startete sie ihren Weg zurück ins Leben, aber kurz darauf mit weiteren Niederschlägen. Mit uns spricht sie offen über ihre Krankheit, was ihr Zuversicht gibt, woher sie die Kraft nimmt und wie sie seitdem auf das Leben schaut.
Vielen Dank für dein Vertrauen und für deine Bereitschaft, so offen mit mir zu sprechen und uns von deinem Weg zu erzählen. Du warst zum Zeitpunkt deiner Diagnose knapp 40 Jahre alt und vorher noch nie mit dem Thema Brustkrebs in Berührung gekommen. Du bist damals junge Mutter gewesen, hast mitten im Leben gestanden und daher kam es für dich einem Todesurteil gleich. Magst du uns vielleicht mal ein bisschen mitnehmen, wie das damals für dich war?
Vielen Dank, dass ich bei dir sein und meine Geschichte erzählen darf. Ich freue mich immer, wenn ich über Krebs sprechen darf, weil ich es als ganz wichtig empfinde, dass darüber gesprochen wird und auch betonen möchte, wie wichtig Vorsorge ist. Ich finde es außerdem heutzutage mit der Community in den sozialen Netzwerken hilfreich, dass man gut abgeholt werden kann. Es gibt so viel Fachwissen da draußen sowie Gruppen, die sich für andere einsetzen, und natürlich auch Menschen wie mich, die von Leben mit dem Krebs erzählen. Ich war damals, im September 2015, Ende dreißig, meine Tochter gerade einmal viereinhalb Jahre alt, und habe ganz typisch, wie es vielen anderen auch passiert, beim Duschen diesen Knoten entdeckt. Ich hatte gerade den Quereinstieg ins Lehramt hingelegt und am nächsten Tag sollte mein erster Schultag als frische Lehrerin sein. Somit hatte ich es dann zunächst total vergessen und mir nichts dabei gedacht. Wenig später bin ich wieder beim Duschen an diese eine Stelle gelangt und dann war der Knoten schon gewachsen. Der Hausarzt sprach beim Ultraschall zunächst von einer Auffälligkeit, aber mit leicht feuchten Augen. Da war mir klar, um was es geht.
Wie bist du dann damit umgegangen?
Ich weiß bis heute nicht, wie ich damals nach Hause gekommen bin, habe erstmal auch ganz doll geweint und mit meiner Mutter und meinem damaligen Freund gesprochen. Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nichts damit anzufangen und hatte vorher überhaupt keine Berührung mit Menschen, die Krebs haben oder hatten. Ich kannte Krebs tatsächlich nur als todbringende Krankheit. Dann wird man von Behandlung zu Behandlung geschickt: Mammographie, Biopsie, die OP, wo einem die Lymphen entfernt und diese untersucht werden, und der Port eingesetzt wird. Dann wird im Tumorboard die Chemotherapie bestimmt und ich habe mich dabei entschieden, das in einem kleinen Krankenhaus machen zu lassen. Das war sehr nett und familiär. Wir waren so 6 bis 7 Frauen, die im Kreis saßen. Meistens wurde geschlafen, aber wenn wir uns unterhalten haben, war es eine schöne Runde. Jede hat dann von ihren Erfahrungen erzählt, viele waren älter als ich. So war der Beginn meiner Krebserkrankung vor fast neun Jahren.
„Die Gedanken und die Narben verblassen zwar, aber es bleibt etwas. Man ist immer Krebspatient und die Krankheit verändert einen tatsächlich. Auch nach der Erstdiagnose ist man bewusster. (…) Ich starte nicht mehr ins Leben durch. Für mich ist jetzt jeder Tag ein Geschenk. Ich genieße jeden Tag und freue mich auch auf jeden Tag, den ich genießen darf. Und deswegen bin ich da viel bewusster geworden.”
Wie schaust du denn seitdem allgemein auf das Leben und wie du dich jetzt mit dem Thema Krebs auseinandersetzen musst? Was hat sich für dich geändert und mit welchen Gedanken und Gefühlen ist das jeden Tag verbunden?
Ich bin ja inzwischen seit fast vier Jahren metastasierte Patientin und finde, es gibt immer einen Unterschied zwischen “Habe ich gerade die Erstdiagnose bekommen?” oder “Bin ich schon Palliativpatientin?”. Diese Erfahrungen habe ich beide gemacht. Bei der Erstdiagnose startest du ja dann wieder, wenn du die Operationen und alles hinter dir hast und vielleicht noch zum Schluss in der Reha warst, in dein Leben. Ich habe das alles durchgelebt und weiß, wie man sich da fühlt. Man ist motiviert, hat den Krebs in die Tonne gekickt und möchte wieder durchstarten, was absolut richtig und in Ordnung ist. So soll es ja auch sein, dass man sich wieder darauf freut, in dieses Leben zu starten. Ich bin ja auch wieder ins Lehramt eingetreten, aber der Krebs bleibt immer irgendwo im Hinterkopf. Die Gedanken und die Narben verblassen zwar, aber es bleibt etwas. Man ist immer Krebspatient und die Krankheit verändert einen tatsächlich. Nach der Erstdiagnose ist man bewusster und hat auch vor, sein Leben in bestimmten Bereichen zu ändern. Das ist ganz individuell. Ich habe beispielsweise schnell wieder mit dem Sport angefangen. Vor der Erkrankung war ich sehr sportlich und hatte gerade auf den Marathon hintrainiert. Das war sicher auch der Grund, warum ich ziemlich gut durch die ganze Chemotherapie gegangen bin. Ich war fit, mein Körper und auch der Geist waren gut eingestellt. Inzwischen nehme ich mich aber nicht mehr ganz so wichtig mit diesen ganzen Oberflächlichkeiten, die einen so umgeben. Jetzt nach der palliativen Diagnose sowieso nicht mehr. Ich starte nicht mehr ins Leben durch. Für mich ist jeder Tag ein Geschenk. Ich genieße jeden Tag und freue mich auch alles, was ich genießen darf. Deswegen bin ich da viel bewusster geworden. Es hat auch etwas mit wohlfühlen zu tun. Wenn man sieht, worüber manche sich so aufregen, denke ich mir eher: Also deine Sorgen hätte ich auch gerne! Diese Dankbarkeit in einem kommt stärker durch, dass man noch hier sein darf. Der Blick auf das ganze Leben hat sich schon sehr verändert. Man ist viel bewusster und voller Demut.

Bild: © Initiative #Wiederganzich, Nadja Seipel
„Auf eine Frage, auf die ich keine Antwort bekomme, verschwende ich keine Kraft, das bringt mich nicht weiter. Ich brauche die Kräfte für andere Dinge — für mich und für meine Familie.”
Gibt es für dich ein Leben “davor und danach”? Fragst du dich manchmal, warum ich?! Warum passiert mir das alles?!
Ja, mein Leben “davor” war natürlich ein anderes, ganz klar. Das war unbeschwert und frei. Ich war selbstbestimmt und konnte machen, was ich wollte, Das ist jetzt nicht mehr so. Natürlich gibt es Nebenwirkungen bei der Therapie und ich habe auch mal kleinere, mal größere Wehwehchen. Es gibt schon ein Leben davor und danach. Das erlebe ich jeden Tag. Man ist in gewisser Weise auch gefangen in dieser Parallelwelt, mit Arztbesuchen, Tabletteneinnahmen etc. Auch während der Chemotherapie waren die Arzttermine natürlich vorgegeben. Da kann man nicht mal so einfach in den Urlaub fahren. Aber ich frage mich nicht, warum mir das alles passiert. Diese Frage bringt mich nicht weiter. Ich bekomme diese Frage ja auch nie beantwortet. Man weiß nicht, warum es einen trifft. Ich glaube nicht, dass es genetisch bedingt ist. Natürlich habe ich früher auch mal Party gemacht, Alkohol getrunken oder unterschiedliche Dinge ausprobiert und bestimmt nicht immer gesund gelebt, aber dann auch wieder sehr gesund gelebt und Sport getrieben. Auf eine Frage, auf die ich keine Antwort bekomme, verschwende ich keine Kraft, das bringt mich nicht weiter. Ich brauche die Kräfte für andere Dinge — für mich und für meine Familie. Deswegen habe ich es abgelehnt bzw. auch nie wirklich angefangen, mir diese Frage zu stellen. Natürlich werde ich manchmal wütend und denke mir: „So ein Scheiß, warum hat es mich erwischt?” Aber es hat keinen Wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Vielleicht soll ich einfach an dieser Stelle sein und aus meiner Situation heraus etwas bewirken. So sehe ich das.
Auf deinen Accounts, unter anderem Gewinnerbraut, sprichst du ganz offen über dein Leben jetzt als Palliativ-Patientin. Du wirkst dabei so unglaublich zuversichtlich und optimistisch und vermittelst so viel Stärke. Wie schaffst du das immer? Woher nimmst du jeden Tag diese Kraft, diese Stärke und diesen Mut?
Ich berichte auf meinem Account ganz authentisch aus dem Leben einer palliativen Patientin und erzähle, was mir alles in neun Jahren Krebs passiert ist. Da kommt schon etwas zusammen (lacht). Ich erzähle aber nicht nur das Gute, sondern auch das Schlechte, wenn Nebenwirkungen durchschlagen und es mir miserabel geht. Dann bekomme ich Kraft von der Community vermittelt, was so guttut. Da kommen Herzchen oder Wünsche für meine Gesundheit geflogen, was schon toll ist. Es gibt mir tatsächlich Kraft und auch die Motivation, dran zu bleiben. Also quasi eine Win-Win-Situation. Für mich ist das offene Schreiben auch ein absoluter Ersatz für die Psychoonkologie. Dieses Loslassen von meinen Gedanken, herauszubringen, was mich beschäftigt und was gerade mit mir los ist, gibt mir Kraft. Natürlich auch meine Familie, ganz klar. Ich habe noch eine sehr junge Tochter und möchte noch ganz lange an ihrer Seite sein. Wenn es plötzlich heißt, man hat noch 4 bis 6 Monate zu leben, ist da erst einmal Nebel im Kopf. Jetzt habe ich diese Prognose aber schon mal überlebt und hoffe, dass es so weitergeht und ich noch lange an ihrer Seite sein darf, vielleicht noch ihren Schulabschluss erlebe oder wie sie studiert. Wer weiß, wohin ihr Weg sie führt…

Bild: © Nadja Seipel
Du hast gesagt, dass das Schreiben dir viel Kraft gibt. Vor kurzem ist dein Buch “Wanderwoman auf Pilgerreise” rausgekommen. Magst du uns da auch noch mal ein bisschen mitnehmen? Wie ist das entstanden und auf welche Reise nimmst du deine Leserinnen und Leser mit?
Ja, plötzlich ist man Autorin (lacht). Das Buch war ein ganz schönes Abenteuer. Ich habe ja im Januar 2021 diesen Pleuraerguss (Anm. d. Red.: Flüssigkeitsansammlung zwischen Brustkorb und Lunge.) gehabt, wo ich auch in der Klinik war. Dort hat man mir eine prognostizierte Lebenserwartung von 4 bis 6 Monaten mitgeteilt. Daraufhin kam eine Dame von der Psychoonkologie zu mir, die mir die Frage nach meinem letzten Willen gestellt hat. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet und konnte ihr nichts sagen. Das hat mich dann natürlich aber nicht losgelassen. Ich hatte keine Ahnung, was mein letzter Wille sein soll: Ein Bungeesprung oder irgendeine abenteuerliche Reise?! Bei einer ganz banalen Tätigkeit kam mir schließlich der Gedanke, dass ich eine Pilgerreise machen möchte. Da gehört so viel zu, Gutes wie Schlechtes, sowie die gesamte Planung, dass ich anfing, es aufzuschreiben. Ich wollte es auch als Erinnerung für mich haben, wenn ich irgendwann mal auf meiner letzten Liege liege und mit einem Lächeln an diese Wege denke. An diese wunderbare Landschaft und die Begegnungen mit Menschen.
„Wenn es mal nicht so gut geht, darf das auch einfach mal so sein. Man darf auch Tage haben, die schlimm sind, wo man traurig und niedergeschlagen ist. Man darf auch weinen. Es ist nicht jeder Tag Sonnenschein und ich finde es wichtig, diese Tage auch zuzulassen. Wichtig ist aber, aus diesen Tagen wieder herauszukommen, aus dieser Phase wieder den Weg nach draußen zu finden und wieder zu dieser Hoffnung und Zuversicht zurückzukehren.”
Was hat euch als Familie am meisten geholfen? Und wenn es mal Tage gibt, wo es nicht so gut geht, wie baust du dich selber wieder auf?
Das ist tatsächlich schwierig. Wenn es mal nicht so gut geht, darf das auch einfach mal so sein. Man darf auch Tage haben, die schlimm sind, wo man traurig und niedergeschlagen ist. Man darf auch weinen. Es ist nicht jeder Tag Sonnenschein und ich finde es wichtig, diese Tage auch zuzulassen. Wichtig ist aber, aus diesen Tagen wieder herauszukommen, aus dieser Phase wieder den Weg nach draußen zu finden und wieder zu dieser Hoffnung und Zuversicht zurückzukehren. Gerade nach der Zweitdiagnose oder jetzt, wo die Therapie nicht mehr anschlägt, sind das schon schlimme Tage. Vor allem für meinen Mann oder die Familie ist es oft schwer, weil sie hilflos danebenstehen. Dabei ist alleine das schon eine Hilfe und wie ein Patentrezept: Abwechslung und rausgehen, selbst wenn es nur ein Spaziergang ist. Frische Luft ist immer gut und kann nie schaden. Ich bin ja auch Freundin, Ehefrau und Mama und noch so vieles mehr und das möchte ich natürlich ausleben. Aber wenn die Angst wiederkommt, und das tut sie, verpacke ich sie gedanklich in eine kleine Box, verschließe sie ganz fest mit Klebestreifen und stelle sie in die Ecke. Das klingt vielleicht total banal oder blöd, aber für mich ist das wirklich ein gutes Rezept — aber auch nicht alles über Krebs zu lesen.
Hast du während der Chemotherapie eigentlich die Haare verloren? Wenn man morgens in den Spiegel schaut und sieht, wie sich der Körper verändert, macht das doch die eigenen Dialoge nicht unbedingt einfacher, oder?
Die Chemotherapie ist natürlich eine absolute Ausnahmesituation. Ja, ich habe alle Haare verloren. Natürlich wachsen sie wieder, aber dieses Stück an Weiblichkeit und die freie Entscheidung, sich Haare schneiden zu lassen oder nicht, wird einem ja genommen. Das ist eigentlich das Schlimmste — gerade für uns Frauen, wo wir uns ja auch gerne damit identifizieren. Es tat schon weh, wenn man sich durch die Haare fährt, sie ausfallen oder auf dem Kopfkissen dann die Büschel liegen. Ich hatte mir zuerst eine Perücke mit roten Haaren machen lassen, aber sie war irgendwie nichts für mich. Ich habe mich verkleidet gefühlt und Kopfschmerzen davon bekommen. Nach fast 14 Tagen habe ich sie schließlich in die Ecke geschmissen. Zuerst fragt man sich schon, wie jetzt die Reaktionen von Anderen sind, wenn man als Glatzkopf vor die Tür geht. Aber letztlich habe ich mich ohne Perücke wohler gefühlt. Man sieht den Menschen sowieso irgendwann an, dass sie Chemo bekommen.

Bild: © Initiative #Wiederganzich, Nadja Seipel
Du hattest auch ganz offen über den Brustaufbau gesprochen. Was hat das mit dir gemacht? Wie bist du durch die Möglichkeiten in unserem Gesundheitssystem begleitet worden? Wie ging es dir in dem Prozess des Wiederaufbaus?
Am Anfang prasseln natürlich ganz viele Informationen auf einen ein. Man muss sich in dieser schwierigen Situation zu allem zusätzlich noch entscheiden, was man und ob man überhaupt einen Aufbau machen lassen möchte. Der Austausch in den sozialen Netzwerken war dafür ebenfalls sehr hilfreich. Ich habe das ehrlich gesagt damals gar nicht so auf dem Schirm gehabt, dass doch mehr Frauen ‑als ich dachte- brustlos leben, sich also komplett alles haben abnehmen lassen. Mir wurden aber die Möglichkeiten aufgezählt, entweder sich die Brust mit Silikon oder Eigenfett wieder aufzubauen zu lassen. Auch das kostet Zeit und Kraft. Der einfachste Weg ist wohl aber erstmal der mit Silikon-Brüsten. Das machen die Ärzte heutzutage nebenher. Dafür habe ich mich letztendlich auch entschieden. Ich hatte ja schon so viele OPs hinter mir und mir aus psychologischen Gründen auch beide Brüste abnehmen lassen. Heute lebe ich gut damit und habe keine Probleme. Es war mir tatsächlich wichtig, wieder Brüste zu haben und mich wieder weiblich zu fühlen.
Ich hatte auch gelesen, dass du deinen Krebs “Edward” genannt hast. Darüber hast du ebenfalls ein Buch geschrieben: “Edward, mein Brustkrebs Krebs mit Happy End?”. Welche Fragen werden dir dazu gestellt? Mit welcher Hauptbotschaft bist du bisher durch dieses Buch unterwegs gewesen?
Das Buch erzählt die Geschichte über meine Brustkrebserkrankung. Es kam einfach immer wieder der Gedanke auf, alles aufzuschreiben, was einem so widerfährt. Irgendwann habe ich mir gedacht, einen Blog aufzusetzen und es auch auf Facebook zu teilen. So kann man immer lesen, wo ich gerade bin und wie es mir geht. Das war super. Als ich dann diese Zweitdiagnose mit den Metastasen bekam, kam der Gedanke, meiner Tochter ein Buch von ihrer Mama zu hinterlassen, das sie jederzeit aus dem Regal ziehen kann. Das fand ich eine schöne, romantische Vorstellung, war allerdings nicht so viel Aufwand wie mit dem Pilgerbuch, weil mir die Kraft fehlte. Die Geschichte ist zwar schon ein bisschen älter, aber sicher für viele interessant zu lesen, was man da so alles durchläuft. Da sind die Narben, ich schreibe darüber, wie meine Brust aussah ohne Brustwarze etc., aber auch über die Rekonstruktion. Das mit dem Tattoo war dann eine super Idee! Es gibt dazu auch eine tolle Initiative von Bepanthen (Anm. d. Red.: Unbezahlte Werbung, aber Namensnennung), die heißt #WiederGanzIch. Jetzt ist es bedeutend besser und fällt auch nicht mehr so auf. Wirklich toll! In dem Buch geht es aber wirklich erstmal um die Erfahrung von damals.
Du hattest anfangs auch über Prävention gesprochen. Da hast du bestimmt auch deine Gedanken, was deine Tochter angeht, dass sie ihre Lebensfreude nicht verliert, weiter durch das Leben geht und die Zeit mit dir genießt. Dafür hast du jetzt auch angefangen, deine Geschichte als Hörbuch aufzunehmen, weil du der Meinung bist, dass das Gefühl und die Stimme das sein werden, was als Erstes verschwimmt. Aber die Bilder bleiben, die Bücher sowie das Lachen und Weinen und alles, was du mit in dieses Hörbuch nimmst. Das Gesagte, all die Geschichten, stelle ich mir sehr schön vor.
Was denkst du, wird deiner Tochter ‑aber auch deinen Lieben um dich herum- davon am meisten Kraft geben? Wie planst du außerdem deine nächsten Monate und bestenfalls ja Jahre?
Was du da jetzt gerade ansprichst, ist das Familienhörbuch, das ich aufnehmen durfte und was einfach eine ganz tolle Sache ist. Unheilbar Erkrankte können das mit ihren minderjährigen Kindern machen. Ich habe jetzt ein Hörbuch von sechs ganzen Stunden aufgenommen, in dem ich eigentlich direkt zu meiner Tochter spreche. Ich hatte sie beim Sprechen immer vor meinem inneren Auge, habe sie persönlich angesprochen, gefühlt mit ihr gelacht und ihr Stories von unserem Leben erzählt — wie von ihrer Geburt oder der Einschulung. Alles Mögliche habe ich da von mir gelassen. Das wurde dann wunderbar und richtig professionell von einer Audiobiografin begleitet und von einem Sounddesigner geschnitten sowie mit meiner Wunschmusik hinterlegt. Das ist eine ganz tolle digitale Schatzkiste. Meine Tochter weiß auch schon davon, aber sie möchte es noch nicht anhören. Ich stelle mir immer vor, wie sie irgendwann, wenn ich mal nicht mehr da bin, in ihrem Zimmer auf dem Boden sitzt, Bilder um sich herum liegen hat und sich dann dieses Hörbuch anhört.
„Ich habe weinen müssen, allerdings auch aus Erleichterung, dass ich jetzt so etwas Tolles für meine Tochter in der Hinterhand habe. Da ist schon immer dieser Gedanke, wie sie das verkraften wird, wenn ich nicht mehr da bin.”
Fotos und Bilder im Kopf verblassen und deswegen finde ich es ganz toll, dass ich das in der Hinterhand habe. Das ist ja auch nicht für mich, sondern zur Trauerbewältigung für meine Tochter. Vielleicht hört sich mein Mann das auch an, wenn er die Kraft hat, aber es ist vor allem erstmal für meine Tochter. Ich habe mir die ersten Worte angehört und dann sind mir schon die Tränen gekommen. Ich habe weinen müssen, allerdings auch aus Erleichterung, dass ich jetzt so etwas Tolles für meine Tochter geschaffen habe. Da ist schon immer dieser Gedanke, wie sie das verkraften wird, wenn ich nicht mehr da bin. Das Familienhörbuch lebt übrigens durch Spenden, daher rede ich sehr gerne darüber und bin auch immer bereit, Informationen drüber zu geben. Ich kann es nur jedem empfehlen, das rechtzeitig zu machen, wenn die Stimme noch Kraft hat. Es ist zwar nie zu spät, aber schon schöner, wenn man noch eine kräftige Stimme hat oder fit ist. Man weiß nicht, wie viel Zeit man hat…
Das ganze Interview mit Nadja Seipel gibt es HIER im Podcast.

Nadja Seipel setzt sich mit vielen Fragen auseinander: Wie geht man damit um, wenn der eigene Tod vor der Tür steht? Was macht es mit uns, wenn der Tod nicht mehr gefühlt irgendwo in weiter Ferne liegt, sondern, wenn wir aufgrund einer Diagnose viel früher mit der Tatsache konfrontiert werden, dass wir sterben werden? Sie spricht sehr offen darüber und macht so auch vielen anderen Mut!
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Bild: © Nadja Seipel