Für Julia Amina Tobler steht ihr Projekt „Shadesinblue” für Erkundung, Abenteuer und somatische Bewegung. Wir tauchen dabei tief in den Ozean und in uns selbst ein, streben nach einem Zustand tiefer Entspannung und Konzentration, sagt sie. Sie arbeitet in den Bereichen Freitauchen, Yoga und Erlebnisse in der weiten Schönheit der unberührten Natur. Im Grunde also alles Erfahrungen, die zur Erweiterung des Selbst und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Seit 2016 ist Dahab/Ägypten ihre Wahlheimat. Bei Freitauchern gilt es als Mekka aufgrund des berühmten Blue Holes. Außerdem war Julia Schweizer Rekordhalterin im Apnoe-Tauchen, wobei sie ohne Luft und nur mit einem einzigen Atemzug in die Tiefen der Meere eintaucht. Uns nimmt sie mit in ihre Welt zwischen Meer und Wüste…
Du bist Gründerin von Shadesinblue, was für dich vor allem für Erkundung, Abenteuer und Bewegung steht, und machst das gleichzeitig auch zu Angeboten für andere und sorgst für unvergessliche Erlebnisse beim Freitauchen oder in der Wüste, in der unendlichen Schönheit der unberührten Natur. Wie war dein Weg dahin?
Da gibt es nicht den einen Weg, vieles hat sich da zusammengefügt, aber meine Liebe zu Wasser und Tauchen war eigentlich schon immer da. Meine Mutter hat mich als „Single-Mom” von klein auf an oft mit aufs Boot genommen, wenn sie tauchen ging. Meistens irgendwo in Kuba. So habe ich früh mit dem Schnorcheln angefangen. Dabei bin ich spielerisch immer weiter abgetaucht, um mir auch mal einen Fisch oder eine Koralle genauer anzusehen. Irgendwann hörte ich, dass sich das Freitauchen nennt, aber es hat dann noch weitere zehn Jahre gedauert, bis ich meinen ersten Freitauchkurs gemacht habe — mit Steven Keenan von „The deepest breath”. Ich war an der Uni, habe Ethnologie studiert, ein bisschen gejobbt, Geld zur Seite gelegt und bin in den Semesterferien irgendwo in Lateinamerika oder Südostasien als Backpackerin gereist. Irgendwann saß ich schließlich in Mexiko am Strand. Es war zwar paradiesisch schön, aber ich war trotzdem nicht glücklich. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt zwar erreicht, was ich erreichen wollte, ich studierte, konnte reisen, hatte genug Geld, war ausgezogen und doch erfüllte es mich nicht ganz. Das war ein Wendepunkt, wo ich gemerkt habe: Ich bin zwar an einem super schönen Ort auf der Welt, aber kann es irgendwie doch nicht genießen. Also überlegte ich mir, was ich wirklich machen wollte in meiner Freizeit. Anstatt mit kleinem Budget so viel wie möglich zu sehen, fragte ich mich, was ich schon immer gerne mal machen wollte. Und das Erste, was mir in den Sinn kam, war das Freitauchen. Ich habe dann einfach mal gegoogelt, wo man das gut lernen kann, und bin so ans Rote Meer gekommen. Sonst hätte ich Ägypten wohl nicht auf dem Schirm gehabt. Mir war irgendwie früh klar, dass ich auswandern möchte und irgendwie nicht so in die Schweiz passe, obwohl die Schweiz viel Positives hat und ein schönes Land ist (lacht).
„Rückblickend kann ich sagen, die Schweiz ist wunderschön und funktioniert auch für viele, aber für mich persönlich eben nicht. Und hier in Dahab habe ich mich direkt wohlgefühlt. Eine Freundin von mir hat die karge Berglandschaft um Dahab als „brutal schön” beschrieben — und sie hat recht. Die Wüste ist brutal und karg, aber hat auch etwas Faszinierendes.”
Rückblickend kann ich sagen, die Schweiz ist wunderschön und funktioniert auch für viele, aber für mich persönlich eben nicht. Und hier in Dahab habe ich mich direkt wohlgefühlt. Eine Freundin von mir hat die karge Berglandschaft um Dahab als „brutal schön” beschrieben — und sie hat recht. Die Wüste ist brutal und karg, aber hat auch etwas Faszinierendes. Das ich das Freitauchen sofort liebte, überraschte mich eigentlich nicht so, aber dass Ägypten mich so packen würde, war überraschend. Nach drei Wochen in Dahab hatte ich sowohl mehrere Freitauchkurse absolviert, als auch interessante, andersdenkende Leute kennengelernt und insgesamt einfach eine super tolle Zeit. Als ich zum Ende der Semesterferien wieder in die Schweiz zurückflog, habe ich gleich geschaut, wann ich meine nächste Zeit in Dahab buchen kann. So ging das ein paar Jahre und in der Schweiz habe ich dann in der Zwischenzeit weiter Freitauchen trainiert. 2016 habe ich schließlich meine Bachelorarbeit über die Beduinen im Sinai geschrieben und konnte das erste Mal länger hier sein — und somit auch mehr freitauchen. Das hat für mich alles super gepasst!
Du bist ja auch in der Schweiz Rekordhalterin fürs Abnoetauchen geworden, wie kam das?
Ja genau, das kam kurz danach. Eigentlich bin ich kein kompetitiver Mensch, aber ich habe eine Zeit lang viel Tieftauchen trainiert — Freitauchen macht süchtig. Ich kam dann immer näher an den damaligen Schweizer Rekord heran. Eine Zeit lang habe ich an Wettkämpfen teilgenommen und den Rekord gebrochen. Und dann ist das natürlich so, wenn man den Rekord hat, ist jeder Meter, den man weitermacht, auch ein Rekord. Mittlerweile habe ich den Rekord aber nicht mehr. Seit fünf / sechs Jahren mache ich keine Wettkämpfe mehr, meine Prioritäten haben sich geändert. Eine Zeit lang war es für mich richtig, mich auf das Training zu konzentrieren, aber irgendwann eben nicht mehr. Ich wollte meine Energie anderweitig einsetzen und mich auf das Freitauchen als Beruf fokussieren. Ich habe den Instruktorkurs gemacht und angefangen, das Freitauchen zu unterrichten. Das klingt jetzt so einfach, war aber ein Riesenprozess. Klar bringen die Rekorde Aufmerksamkeit, aber es war dann schon etwas anderes, damit mein eigenes Geschäft aufzumachen, meine Marke hier aufzubauen und Retreats anzubieten. Es hat lange gedauert, bis ich auch die richtige Partnerin dafür gefunden habe. Inzwischen läuft es aber ganz gut und ich habe im Kopf, zukünftig auch in Europa Retreats und Workshops anzubieten. Dabei muss ich allerdings bedenken, dass es mir schwer fällt, auf Kommando abzuliefern. Ich habe ein mehr oder weniger diagnostiziertes oder halbdiagnostiziertes ADHS und somit Phasen, wo ich super produktiv sein kann, aber eben auch Phasen wo, ich nicht so produktiv bin. Dank der Diagnose habe ich schließlich angefangen zu lernen, nicht dagegen anzukämpfen, sondern viel mehr damit zu arbeiten. Also nicht zu versuchen, mich hinzusetzen, wenn mein Gehirn nicht arbeiten will, weil das nur frustriert. Ich kann besser arbeiten, wenn ich es mir nicht vornehme. Dann passiert es einfach. Plötzlich sitze ich da und mache es, ohne mir Druck aufzuerlegen. Ich weiß jetzt, warum ich mein Leben so gewählt habe, weil es nämlich so für mich besser funktioniert. Das Leben in Dahab ist sehr entspannt und gemächlich. Ich habe mir meine Arbeit so eingerichtet, dass ich gut phasenweise arbeiten kann, eine Woche lang abliefern kann, zum Beispiel in einem Retreat, und dann wieder Zeit für mich habe. Ich brauche viel Bewegung, egal welche, ob das jetzt Yoga ist, ein Spaziergang, Joggen, Schwimmen oder Tauchen. Das tut mir unglaublich gut.
Du bist eine Freitaucherin und “Meeresseele fürs Leben”, wie du selbst sagst. Du sagst durch das Freitauchen hast du die Kraft und das Glück eines entspannten Geistes, der Konzentration und der Leidenschaft kennengelernt. Bitte erzähl uns ein bisschen über das Freitauchen. Wie trainiert man da? Kann es jeder lernen?
Das ist eine sehr spannende Frage. Also Erstens taucht man ja nicht gleich von null auf die 62 Meter, sondern macht das Schritt für Schritt. Wir beginnen zunächst damit, einfach mal die Luft anzuhalten. In die Tiefe gehen wir Meter für Meter. Viele meinen, keine 20 Sekunden die Luft anhalten zu können, dabei sprechen wir Satz für Satz und merken gar nicht, dass wir in der Zeit gar nicht atmen. Es gibt nur wenige Fälle, wo aufgrund eines spezifischen Traumas das Luftanhalten so getriggert wird, dass es schwierig wird, damit zu arbeiten. Die meisten Menschen können ohne Training, nur mit der richtigen Vorbereitung, problemlos 1,5–2 Minuten, wenn nicht sogar länger, die Luft anhalten. Der Atemreiz hat mit erhöhtem CO² zu tun und nicht mit Sauerstoffmangel. Der Körper braucht Sauerstoff und bildet CO². Die Atemgeschwindigkeit, die wir haben und im Alltag gar nicht so bemerken, wird automatisch vom Körper reguliert. Bei gesunden Menschen liegt die arterielle Sauerstoffsättigung im Normalfall zwischen 95 % und 99 %. Das heißt, der Grund, weshalb der Kopf sehr bald signalisiert, jetzt atmen zu müssen, ist, weil der CO² — Spiegel steigt. Da kommen dann schnell Gedanken wie: „Oh, was mache ich hier bloß?! Ich sollte jetzt besser atmen!” Doch der Körper hat da einige beeindruckende Mechanismen. Er passt sich dem Apnoezustand an, evolutionsmäßig waren wir schließlich alle mal im Wasser. Also ja, man kann es lernen und gezielt trainieren.
„Über mentales Training kann man viel bewirken: Also beispielsweise lernen, nicht alles zu glauben, was einem die Gedanken sagen!”
Hattest du dabei selber auch mal Panik?
Man kann es sich unter Unterwasser nicht leisten, Panik zu haben! Wir bereiten uns aber sorgfältig auf einen Tauchgang vor. Einige Minuten liegen wir zum Beispiel nur auf dem Wasser, atmen und entspannen uns. Erst wenn wir den richtigen Zustand erreicht haben, tauchen wir. Wenn ich nicht in diesen Zustand komme, komme ich auch gar nicht erst in die Tiefe. Man spürt den Druck im Wasser, kann nicht ausgleichen und dreht um. Über mentales Training kann man aber viel bewirken: Also beispielsweise lernen, nicht alles zu glauben, was einem die Gedanken sagen! Angst an sich gehört auch mal dazu, aber man lernt damit umzugehen und sich so zu trainieren, dass diese nicht überhand nimmt. Meditation und Yoga helfen da ebenfalls. Was ich am Freitauchunterrichten and Freitauchen besonders liebe, ist, dass man sehr bald sehr viel tiefer und länger tauchen kann, als man denkt. Es beweist sozusagen sehr schnell und einfach, dass beim Freitauchen viel mehr möglich ist, als man glauben mag.
Der Grund, warum manche nicht bald tief tauchen können, ist rein technischer Natur. Hier geht es um den Druckausgleich in den Ohren. Viele machen das instinktiv richtig und manche müssen das ein bisschen lernen. Es gibt Leute, die das gleich instinktiv richtig machen, und es gibt Leute, die das ein bisschen lernen müssen und dann können. Es können eigentlich alle tauchen und dann kommen viele wirklich innerhalb von wenigen Tagen auf 15, wenn nicht 20, Meter und das ist das, was ich so liebe. Das geht schnell beim Tauchen und das Beste ist, dass es sich leicht und überhaupt nicht anstrengend anfühlt. Beim Tauchen muss man in einem entspannten Zustand sein. Ich habe schon auch mal Kopfmenschen dabei, die alles analysieren wollen. Denen nehme ich erst einmal den Tauchcomputer weg, denn je mehr man nach Nummern und Zahlen taucht, desto weniger klappt es. Das Resultat war dann, dass der tiefste Tauchgang der einfachste war. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass wenn ich in Harmonie und entspannt bin, die Dinge von selbst kommen und ich die gewünschten Resultate erzielen kann.
Ich konnte lesen, dass du neben deiner Leidenschaft für das Meer überhaupt alle Arten von Bewegungs- und Achtsamkeitsübungen liebst. Yoga und Meditation gehören für dich genau so zu deiner Routine wie somatisches Erleben, Atemarbeit und alles andere, was mit der Erforschung der Verbundenheit von Körper und Geist zu tun hat. Wie kam es dazu?
Ich hatte mal eine Liebesbeziehung, die sehr intensiv war, und dann fürchterlich auseinander ging. Das war für mich sehr traumatisch und tief einschneidend. Zufällig fiel das mit Corona zusammen, wo gefühlt viele Menschen in den unterschiedlichsten Krisen gesteckt haben. Ich kam in einen Zustand, wo ich nur noch am Überleben war und mich von Minute zu Minute und Tag zu Tag hangelte. Psychologisch und theoretisch wusste ich, was los war, aber das löst den Trigger noch nicht. Was mir dafür aber wirklich geholfen hat, war die somatische Arbeit und das “Tapping” (Klopftechnik). Manchmal hilft Psychotherapie schon auch, aber ich war an einem Punkt, wo meine Gedanken wieder und wieder um das gleiche Ereignis kreisten — da kommt man mit „nur reden” nicht raus. In der Gesellschaft ist das Thema der mentalen Gesundheit zum Glück angekommen, daher gehen mehr Menschen zu Psychologen und arbeiten ihre Themen auf. Die somatische Arbeit kommt da ins Spiel, wo Trigger durch Nervenverbindungen in der Muskulatur sitzen. Sie befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen körperlichen Empfindungen und dem Nervensystem. Durch gezielte Ansteuerung mit Bewegungen können Spannungen durch neurale Verbindungen gelöst werden.
„Es gibt gewisse Spannungen, auch im Körper, die wir nicht einfach lösen können. (…) Es ist wichtig, das Nervensystem anzusteuern und dem Nervensystem die Signale zu geben, dass es sicher ist und sich entspannen darf.”
Es gibt gewisse Spannungen, auch im Körper, die wir nicht einfach lösen können. Es gibt Bereiche, die wir entspannen können, und andere, von denen wir gar nicht wissen, wie sich hier Entspannung anfühlt. Bei der somatischen Arbeit geht es nun darum, diese Mikroverbindungen wieder herzustellen. Das ist allerdings ein großes Feld. Es ist wichtig, das Nervensystem anzusteuern und dem Nervensystem die Signale zu geben, dass es sicher ist und sich entspannen darf. Das ist auch wichtig, um den Bogen zu meiner Situation damals zu schlagen. Ich kann nicht alles erklären, aber das Schöne beim somatischen Arbeiten ist ja auch, dass man es nicht erklären können muss. Es funktioniert einfach. Mir hat es sehr geholfen. Man scannt den Körper immer und immer wieder auf blinde Flecken und bemerkt so, wo er steht. Das ist jetzt aber lediglich vereinfacht dargestellt.

Bild: © Julia Amina Tobler
Spannend und auch etwas gegensätzlich ist außerdem, dass für dich Wüstenabenteuer ebenfalls dazu gehören. Dabei hat ein Ausflug in die Wildnis für dich nichts mit Leistung zu tun — viel mehr ist es für dich ein Ort, an dem man präsent sein, wo man sich ausruhen, Kuriositäten des Lebens entdecken und tiefe Stille und erdenden Frieden erleben kann. Wie erlebst du diesen Kontrast der Elemente und was macht das mit dir?
Eigentlich ist es genau das gleiche: Wenn man in die Wüste geht, ist das, was wir Unterwasser suchen, einfach da. Das Schöne in der Natur ist, dass ich sie einfach spüren kann. Sie ist einfach da. Hier in Ägypten gibt es noch diese wilde Natur. Ich sehe es immer wieder, wie die Leute dann wieder zu Kindern werden und ich gar nichts hinzufügen muss. Die Natur übernimmt einfach und die Leute spüren sich wieder mehr. Man hat keine Internetverbindung und ist stattdessen einfach mit sich, den anderen oder der Natur verbunden. Und die Sinai Wüste nimmt einem wirklich den Atem, so schön ist es da. Die Sinai Wüste ist auch geografisch und historisch ein spezieller Ort — hier sind Vorfahren von fast allen Menschen einmal durchgewandert. Wenn die Menschheit in Afrika entstand, sind alle nicht-afrikanischen Ethnien durch dieses Nadelöhr der Kontinente gegangen, bis sie sich verteilt haben — und trotzdem ist es reine Wüste! Das spürt man und diese Art, wie die Wüste ist, ist wild, aber gleichzeitig auch sehr ruhig. Auch die Bewohner der Wüste, die Beduinen, haben diese geerdete Ruhe in sich. Sie kennen die Wüste, wissen, wo man Holz und Wasser findet und wo man mit dem Handy Signal hat. Dieses ursprüngliche Wissen der Wildnis und gemeinsam um das Feuer zu sitzen, dahin zurückzukommen, bzw. dieser Prozess dorthin, der mit der somatischen Arbeit oder dem Freitauchen geweckt werden kann, ist großartig.
„Es im Grunde wie eine Art Therapie, in die Wüste zu gehen. Es geht eigentlich darum, sich zu öffnen und fühlen zu dürfen und dann verbindet man sich auf einem anderen sensorischen Level. (…) Ich glaube, das ist auch etwas, was ich als meine Mission ansehe, den Leuten mehr Mut zu geben, fühlen zu dürfen oder sich fühlen zu lassen. Ich weiß, es ist nicht einfach, denn gerade bei uns im Westen wollen wir alles möglichst im Kopf lösen, weil uns das eine gewisse Sicherheit gibt, aber das ist ein Trugschluss!”
Du sagst außerdem, dass du das Gefühl hast, dass wir Menschen die Einfachheit des Seins ein bisschen verloren haben und viel mehr eine Verbindung und ein Tempo zulassen müssen, in dem unser Körper seinen eigenen zirkadiane Rhythmus, auch als innere Uhr bekannt, wiederfindet. Was meinst du genau damit? Wie können wir neben Retreats und Workshops aber auch in unserem Alltag dahin zurückfinden?
Rational erklärt hat sich der menschliche Körper über Jahrtausende darauf spezialisiert, in der Natur zurecht zu kommen, um das Feuer herumzusitzen und seinen Instinkten zu folgen. Seit relativ kurzer Zeit leben wir jetzt auf eine ganz andere Art. Wenn wir zu diesem ursprünglichen Rhythmus zurückkehren, fühlt sich das für unseren Körper richtig an. Diese wissenschaftliche Erklärung ist zwar faszinierend und ich mag es auch, Dinge in meinem Kopf zu erklären, aber vieles passiert eben nicht im Kopf, sondern auf einer Gefühlsebene. Man fühlt eine Verbundenheit in der Natur und das meistens ziemlich bald. Es gibt Leute, die das (unbewusst) nicht fühlen, rationalisieren und im Kopf bleiben. Das ist meistens ein Schutzmechanismus. Wenn man das Fühlen zulässt, kommen natürlich auch die anderen Dinge, die man vielleicht nicht fühlen wollte, dazu. Also ist es im Grunde wie eine Art Therapie, in die Wüste zu gehen. Es geht eigentlich darum, sich zu öffnen und fühlen zu dürfen und dann verbindet man sich auf einem anderen sensorischen Level.
Dann gibt es noch eine tiefere Ebene, die man nicht beschreiben kann, aber die spürbar ist — wie unter Wasser auch. Das ist zwar simpel, aber nicht einfach. Das ist, wie als wenn ich dir sage “einfach mal entspannen oder fühlen”. Oft ist es eben nicht einfach! Ich glaube, das ist auch etwas, was ich als meine Mission ansehe, den Leuten mehr Mut zu geben, fühlen zu dürfen oder fühlen zu lassen. Gerade bei uns im Westen wollen wir alles möglichst im Kopf lösen, weil uns das eine gewisse Sicherheit gibt, aber das ist ein Trugschluss! Sich zu fühlen ist eben nicht einfach. Und das hat mit Mut zu tun. Mut haben ist positiv formuliert. Die Formulierung hilft, sich auf etwas einzulassen. Wenn ich hingegen sage, du musst mal den Kopf loslassen, ist das negativ formuliert und somit schwieriger. Auf Französisch heißt Mut „Courage”, beziehungsweise auf Englisch gibt es „Courage” und „Bravery”. Courage kommt von „Cœur” = „Herz”. Es gibt verschiedene Arten von Mut und ich meine die, die vom Herzen kommt.
Was erzählst du den Menschen bei deinen Vorträgen? Und gibt es eine große Vision hinter deiner Arbeit? Wenn ja welche ist das?
Ich glaube, das Wichtigste für mich ist, wie für alle Leute, die Welt zu verbessern. Für mich hat das sehr viel damit zu tun, sich selbst besser zu spüren und entspannter zu sein. Wenn man mehr zu sich selbst zurückfindet, ist man ein besserer Mensch mit mehr Kapazität, kann bessere Entscheidungen treffen, andere Menschen um sich herum besser behandeln und mehr Mitgefühl haben. Je mehr Menschen so sind, desto besser wird die Welt.
Gibt es auch bei dir nochmal irgendwas in der Natur, was dir den Atem raubt? Gibt es noch Wow-Momente?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man die immer hat. Das ist doch, was das Leben ausmacht! Das Leben richtig und in vollen Zügen zu leben. In meinen Augen geht es gar nicht um die Häufigkeit und wie oft diese Momente passieren, sondern wie oft ich diese wahrnehme. Das hat auch mit Achtsamkeit zu tun. Es können die kleinsten Momente sein, aber das sind die wichtigsten. Wir beschäftigen uns heutzutage viel mit Triggern, was auch wichtig ist, aber es gibt auch diese kleinen Momente, wo wir einfach eine Verbundenheit fühlen, wo wir so ein Überraschungsgefühl oder einen Wow-Moment haben. Man nennt diese Momente „Glimmer”, also quasi das Gegenteil von „Trigger”. Sich dieser Momente bewusst zu werden und diese wahrzunehmen, finde ich ganz wichtig (Hinweis d. Red.: Glimmer sind kleine, positive Momente, die ein Gefühl von Sicherheit, Freude oder Entspannung hervorrufen und das Nervensystem beruhigen können. Ein Trigger hingegen ist ein Reiz, der eine negative emotionale Reaktion, wie Angst oder Wut, auslösen kann, oft aufgrund von traumatischen Erfahrungen.). Je mehr man sich auf Glimmer konzentriert, desto mehr kommen sie auch. Ich habe mir in Dahab ein Leben aufgebaut, mein Büro ist das Meer und dennoch habe ich auch schlechte Tage. Aber dann versuche ich mich einen Moment am blauen Schimmer vom Meer zu erfreuen oder den Auftrieb vom Salzwasser zu spüren. Man kann die Dinge immer so oder so sehen. Das ist schon schwieriger, wenn man in einer Betonwelt lebt, aber auch da kann man Schönheit sehen und Faszination finden. Auch Ingenieurwesen und die Architektur der Menschheit haben ihren Reiz, aber ich denke, dass die Natur doch am meisten davon hat. Das ist der Grund, warum ich die Menschen gerne in die Natur bringe. Das ist der einfachste Weg, um zu diesen Wow-Momenten zu kommen.
„Konzentriere dich auf dich selbst! Was auch noch dazu gehört, ist andere nicht zu verurteilen, denn du weißt nicht, was in deren Leben gerade abgeht. Also hab Verständnis, dass andere Menschen andere Kapazitäten haben und alle immer ihr Bestes geben…”
Du kommst viel herum und bist eng verbunden mit der Natur. Mit welchen Gedanken und Gefühlen schaust du dabei auf unsere Um- und Mitwelt und wie es um sie steht? Wie können wir Menschen uns in Zukunft wieder mehr für sie sensibilisieren, um sie zu schützen?
Jetzt muss ich ein bisschen vorsichtig sein, wie ich das beantworte (lacht). Ich habe eine pragmatische Einstellung dazu und zitiere gerne aus Harry Potter: „Was kommen muss, wird kommen, und wenn es da ist, werden wir bereit sein, den Kampf aufzunehmen!” Ich glaube, das passt auch zum Freitauchen unter Wasser! Auch da geht es um Mut. Je mehr ich vertraue, mich entspanne, mich gehen lasse und von allem loslasse, desto schöner wird das Tauchen. Das englische Wort dazu ist „Surrender”. Das ist mein Mantra! Natürlich sind mir Natur, Tiere und Umweltschutz etc. wichtig, aber ich habe das Gefühl, dass wir als Menschheit an einem anderen Punkt stehen. Es gibt viele gute Projekte und ich finde es auch wichtig, sich auf das Gute zu konzentrieren, also auch die Arbeit, die ihr mit dem Magazin macht. Das ist meiner Meinung nach genau das Richtige, nämlich in eine Richtung zu arbeiten, die man für richtig hält. Also: „Where focus goes, energy flows!”. Ein einfaches Prinzip und so wichtig — trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir noch ganz doof in etwas reinrennen müssen, bevor sich etwas grundsätzlich im Großen ändern wird. Im Moment machen einzelne Menschen ehrenvolle Arbeit und schützen zum Beispiel die letzten zwei weißen Nashörner, aber als Menschheit und gesellschaftliches System ist der Strom in eine andere Richtung so viel stärker. Ein gutes Beispiel dafür ist die Klimaerwärmung. Da können Einzelne noch so viele Stecker rausziehen, wenn andere in größeren Dimensionen mit ihren Privatjets weiter um die Welt fliegen, wird sich nichts ändern. Das ist jetzt kein Freischein, um nichts mehr zu tun, überhaupt nicht! Nur eben mit Augenmaß. Meine Einstellung ist, im Kleinen das zu tun, was man ändern kann, aber auch mal gut sein lassen.
Und gleichzeitig bereit sein, wenn sich die Welt verändert. In jedem Moment annehmen, was kommt, und das Beste daraus machen. Also innerhalb der eigenen Kapazitäten sein Bestes tun. Ich finde es aber auch wichtig, dass wir uns weniger gegenseitig be- oder verurteilen. Zumindest in der Schweiz, aber ich nehme an, dass es in Deutschland auch so ist. Es ist jetzt so eine neue Prestigesache geworden, wer denn am besten recycelt. Da finde ich einfach: „Mach, was du kannst und sei ein Beispiel für andere, und ob diese dir folgen und dich als als Vorbild nehmen, ist außerhalb deines Einflusses! Das kannst du eh nicht kontrollieren! Konzentriere dich auf dich selbst! Was auch noch dazu gehört, ist andere nicht zu verurteilen, denn du weißt nicht, was in deren Leben gerade abgeht. Also hab das Verständnis, dass andere Leute andere Kapazitäten haben und dass alle immer ihr Bestes geben, so wie sie denken. Ja, auch da ein bisschen mehr „Surrender”.
Wenn du eine Sache auf der Welt ändern können würdest, die wirklich ganz allein in deiner Macht stehen und liegen würde, was wäre das?
Aus dem Instinkt heraus würde ich erst einmal nichts ändern wollen, weil ich zu klein bin, um die Konsequenzen absehen zu können. Es macht Sinn, den Moment so zu nehmen, wie er ist, und nicht immer etwas ändern zu wollen. Im Kleinen, für mich und für mein eigenes Leben zu agieren. Und ein bisschen mehr Geld wäre auch schön (lacht). Anders formuliert geht es mir aber, glaube ich, um das Vertrauen. Aber ich würde mir für uns alle auch mehr „Community” wünschen. Ja, mehr Community in der Welt, mehr Gemeinschaften und Zugehörigkeit zu Gruppen. Das beziehe ich auf kleine Gruppen zwischen 10–100 Menschen. Was wir in Dahab an Gemeinschaft erleben und zusammen unternehmen, planen, wie wir zusammen und füreinander da sind und uns auf der Welt an den unterschiedlichsten Orten wiedersehen, ist etwas so Wichtiges, was ich auch sehr schätze. Ich sehe, wie sehr das vielen in der Welt fehlt, eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu spüren. Früher war die Kirche dafür zuständig, aber das ist für viele heute keine Option. Einen Ort zu haben, wo man sich sicher fühlt. Das muss nichts Religiöses sein, viel mehr eine gewählte Familie. Gerade auch unter uns Frauen ist das wichtig. In Dahab gibt es so viele starke Frauen, wir haben einen starken Zusammenhalt. Das wünsche ich vielen Menschen, das ebenfalls zu haben. Es ist in meinen Augen lebenswichtig, in einer Gruppe miteinander zu wachsen und sich weiterzuentwickeln, sich zu helfen, zu unterstützen — auch gegenseitig zu spiegeln und voneinander zu lernen. Ja, Communitybuilding wünsche ich der Welt, dass es das wieder mehr für uns alle gibt!
Das ganze Interview (#Folge 49) gibt es auch bei uns im Podcast.

„Shadesinblue steht für die Erforschung der Verbindung von Körper und Geist, die Hingabe an die Elemente und Transformation durch Abenteuer und Bewegung. Beim Freitauchen in den Ozean und in uns selbst erreichen wir einen Zustand tiefer Entspannung und Ekstase.”, sagt Julia Amina Tobler.
„Zu meinen Angeboten gehören Freitauchen, Yoga und Abenteuererlebnisse in der unberührten Natur. Drei Dinge, die zur persönlichen Entwicklung und einer verbesserten Lebensqualität beitragen.”
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