Wenn Kinder und Jugendliche schwer krank werden und sind, bedeutet das einen tiefen Einschnitt in das Leben der ganzen Familie. Neben der medizinischen Versorgung ist es dann aber auch wichtig, mental in der Kraft zu bleiben und den Lebensmut zu stärken. Optimismus spielt hier eine entscheidende Rolle. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Gefühl, sondern eine aktive Haltung, die sowohl den Betroffenen als auch ihren Familien helfen kann, mit den Herausforderungen umzugehen. Durch eine positive Perspektive können sie Hoffnung und Stärke finden, um den oft steinigen Weg der Genesung zu meistern.
Bücher und Spiele spielen eine entscheidende Rolle bei der Genesung von Kindern und Jugendlichen, die schwer krank sind. Sie dienen nicht nur der Unterhaltung, sondern sind auch wichtige therapeutische Werkzeuge. Die “Onko-Land Buddy Box” ist dafür ein tolles Beispiel. Dabei handelt es sich um ein interaktives Hör-Abenteuer, das speziell für schwerkranke Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 15 Jahren konzipiert wurde. Das Projekt wurde vom Verein Element 3 e.V. in Zusammenarbeit mit der Veronika-Stiftung entwickelt und gemeinsam mit dem medhochzwei Verlag umgesetzt. Wir haben mit den beiden Autoren, Kathrin Feldhaus und Michael Kaiser, gesprochen.
Wie entstand die Idee zu „Onko-Land“ und was war Ihnen bei der Entwicklung der Buddy-Box besonders wichtig?
Kathrin Feldhaus: Wir beide beschäftigen uns seit vielen Jahren in Theater- oder Buchprojekten mit der Lebenssituation und dem Alltag von schwerkranken Kindern und Jugendlichen. Für das Buch „Ich hab jetzt die gleiche Frisur wie Opa“ (hrsg. von der Veronika-Stiftung) beispielsweise habe ich 2014 ein Jahr lang Gespräche mit Betroffenen auf der Kinderkrebsstation der Uniklinik in Tübingen geführt. Und Michael hat die Pflegenden dort vier Jahre später für ein Sachbuch über Care-Arbeit in ihrem Berufsalltag auf Station begleitet.
Michael Kaiser: Schwer zu erkranken und in ein Krankenhaus zu müssen, ist für alle Menschen eine absolute Ausnahmesituation – für Kinder und Jugendliche aber noch einmal besonders belastend. Wir wollten ihnen etwas an die Hand geben, das Trost spendet, Mut macht und im oft zähen Stationsalltag auf unterschiedlichen Ebenen unterstützt. Die Grundidee war, eine Geschichte zu schreiben, die genau dort – also im Klinikzimmer – beginnt, dann aber in eine Welt führt, in der alles möglich ist und der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind.
„Es war ganz toll und berührend, wie offen die Kinder und Jugendlichen waren, mit denen wir vor Ort gesprochen haben, und was sie alles mit uns geteilt haben – wie es sich angefühlt hat, eine lebensverändernde Diagnose zu bekommen, wie die Ankunft auf Station für sie war, wie sie ihren Alltag vermissen und wie sehr die Gefühle Achterbahn fahren.”
Welche Rolle spielten die Perspektiven und Wünsche von betroffenen Kindern und Jugendlichen bei der Konzeption des Hör-Abenteuers?
Michael Kaiser: Diese Perspektiven von Anfang an einzubeziehen, war uns bei der Entwicklung der Box besonders wichtig – anders wäre es für uns nicht vorstellbar gewesen! Deshalb haben wir in der Entwicklung eng mit einer Akut- und einer Reha-Klinik zusammengearbeitet.
Kathrin Feldhaus: Es war ganz toll und berührend, wie offen die Kinder und Jugendlichen waren, mit denen wir vor Ort gesprochen haben, und was sie alles mit uns geteilt haben – wie es sich angefühlt hat, eine lebensverändernde Diagnose zu bekommen, wie die Ankunft auf Station für sie war, wie sie ihren Alltag vermissen und wie sehr die Gefühle Achterbahn fahren. Auch viele fantasievolle Ideen sind in das Hörspiel eingeflossen.
Michael Kaiser: Die meisten Orte und Figuren, die uns in der Buddy-Box begegnen, stammen aus diesen Gesprächen. Hannah, die der Hauptfigur Lou ihre Stimme leiht, hat uns von ihrem Stimmungs-Oktopus aus Plüsch erzählt. Ihn hat sie während ihrer Zeit im Krankenhaus geschenkt bekommen, damit sie Leuten, die das Zimmer betreten, ohne Worte ihre aktuelle Gefühlslage zeigen kann.
Kathrin Feldhaus: Das fanden wir so charmant, dass schnell die Idee geboren war, einen Oktopus als Begleiter von Lou in unser Hör-Abenteuer einzubauen und ihn der Box auch in Kartenform beizulegen.

Bild: © Verlag medhochzwei, Illustration: Esfir Brod
Wie kann „Onko-Land“ schwerkranken Kindern im Klinikalltag helfen, ihre Gefühle zu entdecken und zu verarbeiten?
Michael Kaiser: Das Zentrum der Buddy-Box ist das Hör-Abenteuer rund um die Reise von Lou, Oktopus und Infusionsständer durch Onko-Land und zu ihren Emotionen. Der Oktopus fühlt nämlich ständig zu viel, der Infusionsständer hingegen zu wenig, und Lou muss lernen, mit dem Leben nach der Diagnose klarzukommen.
Kathrin Feldhaus: Die Kinder und Jugendlichen können die Reihenfolge der Geschichte selbst bestimmen. Das ist ein wichtiger Punkt, da ihnen in ihrer Situation oft fast jede Form von Selbstbestimmung genommen wird, wenn sie sich beispielsweise auf einer Krebsstation befinden, auf ein Spenderorgan warten oder unter einer anderen schweren Erkrankung leiden.
Michael Kaiser: Die jungen Menschen in der Reha-Klinik haben den Wunsch geäußert, selbstbestimmt zu entscheiden, was man je nach Situation hören möchte. Auch deshalb haben wir die Möglichkeit eingebaut, ein zur aktuellen Gefühlslage passendes Kapitel auszusuchen.
Kathrin Feldhaus: Jede Episode rückt dabei einen anderen Aspekt der Erkrankung ins Zentrum: Mal geht es um das Thema Essen und Appetitlosigkeit, mal um die Angst, den Anschluss zu verpassen usw.



Bild: © Verlag medhochzwei, Illustration: Esfir Brod
„Das Hörspiel regt die Fantasie an, die in der Box enthaltenen Aktions- und Buddy-Karten laden dazu ein, sich mit der belastenden Situation und den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen.”
Welche Elemente und Inhalte umfasst die Buddy-Box und wie werden diese im Klinikalltag eingesetzt?
Kathrin Feldhaus: Das Hörspiel regt die Fantasie an, die in der Box enthaltenen Aktions- und Buddy-Karten laden dazu ein, sich mit der belastenden Situation und den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. In anderen Kapiteln geht es darum, die Rätsel der Hexe der Zuflucht zu lösen, um sie anschließend auf verschiedene Traumreisen zu begleiten und dabei zu entspannen. Bei der Erarbeitung dieser Inhalte haben wir mit einer Kunsttherapeutin zusammengearbeitet, die selbst auf einer Kinderkrebsstation tätig ist.
Michael Kaiser: Wann, auf welche Weise und wie intensiv diese Elemente eingesetzt werden, entscheiden die Kinder und Jugendlichen selbst – je nachdem, wie es ihnen gerade körperlich und psychisch geht.
Warum haben Sie sich für das Format eines interaktiven Hörspiels mit ergänzenden Karten und Rätseln entschieden?
Michael Kaiser: Im Krankenbett verbringen die meisten Menschen richtig viel Zeit vor Bildschirmen. Wir wollten dem etwas entgegensetzen – etwas „Echtes“ zum Anfassen und Erkunden, etwas, das alle Sinne anspricht und die Fantasie anregt. Einen großen Beitrag dazu leisten die fantastischen Karten-Illustrationen von Esfir Brod und die Musik von Hannes Wittmer.

Bild: © Unsplash
Wie haben die Kooperationen mit Kliniken und Stiftungen zur Qualität und Authentizität des Projekts beigetragen?
Kathrin Feldhaus: Ohne unsere Gespräche mit Betroffenen und dem Personal auf den Stationen wäre dieses Projekt nicht denkbar gewesen! Da gibt es so viele Besonderheiten und Details, die man sich als Autorin und Autor gar nicht ausdenken kann. Die Veronika-Stiftung, die das Projekt finanziert hat, hat uns im Prozess beratend begleitet und auch die Verbindung zum Verlag hergestellt.
Michael Kaiser: Authentizität ist wahrscheinlich überhaupt das Wichtigste bei einem Projekt wie diesem. Die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir in der Recherchephase gearbeitet haben, haben gespürt, dass wir genau das suchen – und deshalb waren sie uns gegenüber so offen.
„Wir wünschen uns vor allen Dingen, dass die Box möglichst vielen Kindern und Jugendlichen in schweren Zeiten Ablenkung bietet, Mut macht und bei der Verarbeitung ihrer Gefühle hilft.”
Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Kindern, Eltern oder Klinikpersonal zu „Onko-Land“ erhalten?
Michael Kaiser: Wir freuen uns immer sehr, wenn wir gespiegelt bekommen, dass die Box jungen Menschen bei Krankenhausaufenthalten oder anschließend bei der Reflexion des Erlebten hilft. Aufklärung und eine gute medizinische Behandlung seien schließlich nur eine Seite der Therapie, meinte einmal ein Arzt im Zusammenhang mit „Onko-Land“, ebenso wichtig sei die mentale Unterstützung.
Kathrin Feldhaus: Erst kürzlich hat uns die Rückmeldung einer 15-jährigen Patientin aus einer Klinik im Ruhrgebiet erreicht, die durch die Box dazu angeregt wurde, ein Chemo-Tagebuch zu führen. Sie möchte damit die guten Tage dokumentieren und sich selbst motivieren, wenn es mal schlecht läuft.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft von „Onko-Land“ und gibt es Pläne für weitere Projekte in diesem Bereich?
Kathrin Feldhaus: Wir wünschen uns vor allen Dingen, dass die Box möglichst vielen Kindern und Jugendlichen in schweren Zeiten Ablenkung bietet, Mut macht und bei der Verarbeitung ihrer Gefühle hilft.
Michael Kaiser: … und Ideen für neue Projekte haben wir eigentlich immer. Mal sehen, was die Zukunft bringt, wir bleiben auf jeden Fall am Ball!


Bilder von dem Autoren-Team Kathrin Feldhaus und Michael Kaiser: © Britt Schilling
Kathrin Feldhaus und Michael Kaiser sind die Autoren des Hör-Abenteuers „Onko-Land“. Sie haben die „Buddy-Box“ mit dem Hörspiel und weiteren kreativen Materialien konzipiert und realisiert:
Kathrin Feldhaus entwickelt für den Freiburger Verein Element 3 seit 2012 partizipative Projekte im Kontext gesellschaftspolitischer Fragen. Zuvor hat sie mit Michael Kaiser und weiteren Co-Autoren bereits das Sachbuch „Auf Klingel – Berufsalltag und Leben von Menschen in der Pflege“ und „Ich hab jetzt die gleiche Frisur wie Opa – Wie kranke Kinder und Jugendliche das Leben sehen” veröffentlicht.
Michael Kaiser ist künstlerischer Leiter des Jungen Theaters Freiburg und dort als Autor, Dramaturg, Regisseur und Performer tätig. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind Theaterproduktionen zum Thema „Krankheit und Gesellschaft“, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
(Hinweis: Die im Text angegebenen Links sind Affiliate-Links.)