Das italienische Lebensgefühl “La Dolce Vita” steht für viele für einen entspannten Lebensstil mit Genuss, Geselligkeit, Leidenschaft, Glück, Sonne, Leichtigkeit, Eleganz und Tradition. Wir wollten hier ein bisschen tiefer eintauchen und waren mit Gitta Eckl-Reinisch im Austausch. Sie ist u.a. Immobilien- und Sprachcoach für Italien. An sie wendet man sich, wenn man eine Immobilie in Italien kaufen, Italienisch lernen oder eine Sprachreise nach Italien machen möchte. Heute schreibt sie für Pure & Positive über den “Karneval in Venedig”, der in diesem Jahr vom 14. Februar bis 4. März stattfindet. Dann schmücken wieder beeindruckende Karnevalskostüme Venedigs Plätze und Gassen, aber bereits ab dem 7. Februar 2025 ist Venedig mit diversen Festen in Karnevalsstimmung…
Touristenmassen? Nippes? Zur Schau gestellter Reichtum? Ja, das alles findet man zur Karnevalszeit in Venedig. Aber auch versteckte Schönheit, Farbenfreude, Lebenslust – und Erlebnisse, die für immer im Gedächtnis bleiben. In diesen Tagen zeigt die Stadt, was sie über Jahrhunderte stark gemacht hat: ihre Unabhängigkeit und ihr Einfallsreichtum.
Als ich das erste Mal (vor gut 45 Jahren!) nach Venedig kam, stank die Stadt: die Calli (Gassen) waren übersät mit Unrat, aus den Kanälen kroch ein unangenehmer Geruch hervor, überall lag Taubendreck herum. Sollte dies die Stadt von Tintoretto, Vivaldi und Hemingway sein? Der Ort, an dem der köstliche Bellini kreiert worden war? Wo blau-weiß gewandete Gondolieri singend ihre Kunden durch die engen Kanäle fuhren, wo der Sonnenuntergang über der Lagune Romantik pur versprach? Der Ort, an dem der hinreißende, weltberühmte Carnevale seinen Ursprung hat? Für mich nicht vorstellbar — ich wollte nur weg. Als ich gestern, nach vier Tagen Venedig Anfang November, wieder nach Hause fuhr, zog sich mir bereits beim Überqueren des Ponte della Libertà (Freiheitsbrücke, die das Centro Storico mit dem Festland verbindet) das Herz zusammen und ich sehnte mich nach Venedig zurück.

Bild: © Gitta Eckl-Reinisch
„Es heißt, für Venedig gibt es nur zwei Gefühle: Liebe oder Hass. Die Stadt lässt dich nicht gleichgültig. Ich habe mich für die Liebe entschieden, oder besser gesagt: Venedig hat sich in mein Herz geschlichen.”
Was war passiert?
Es heißt, für Venedig gibt es nur zwei Gefühle: Liebe oder Hass. Die Stadt lässt dich nicht gleichgültig. Ich habe mich für die Liebe entschieden, oder besser gesagt: Venedig hat sich in mein Herz geschlichen. Nach nunmehr 50 Aufenthalten in der Serenissima und einem Studium an der Ca‘ Foscari (humanistische Universität von Venedig), ist sie Teil meines Lebens. Ein wahrgewordener Traum.
Was macht Venedig so besonders?
Der kulturelle Reichtum Venedigs, seine außergewöhnlich schöne Position, dürfte jedem bekannt sein. Dass Venedig bereits im Jahr 697 den ersten Dogen hatte, ist vielleicht nicht jedem geläufig. Ab 821 regierte sich die Serenissima (die Durchlauchtigste) selbst. Über Jahrhunderte hinweg verbat sie sich den Einfluss von außen, auch von der Kirche (das Kirchenoberhaupt wurde auf die Insel San Pietro verbannt, San Marco war nie Bischofssitz!), und kämpfte um ihre Unabhängigkeit. Der letzte Doge, Ludovico Manin, wurde am 12. Mai 1797 von Napoleon abgesetzt. Bis dahin hatte Venedig also ein gutes Jahrtausend lang seine Geschichte geschrieben, es hatte stets Stärke gezeigt, allem Unbill von außen getrotzt: Wetter, Hochwasser, Angriffen und es hatte seine Traditionen gepflegt.

Bild: © Gitta Eckl-Reinisch
Eine dieser Traditionen ist der Carnevale
Es war der Doge Vitale Fallier, der im Jahr 1094 ‚Vergnügen für alle‘ verkündete und dabei dem römischen Beispiel von Brot und Spiele folgte. So wurden die Tage vor der Fastenzeit als Feiertage bestimmt, mit Musik, Spaß und Tanzveranstaltungen. Im Jahre 1296 nahm der Senat der Republik Venedig den Carnevale offiziell in seine Dokumente auf und verkündete, dass der letzte Tag vor der Fastenzeit ein öffentliches Fest sei. Die Masken hatten bereits im Jahr 1268 Einzug in die Festivitäten des Karnevals gehalten. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts entwickelte sich eine richtige Masken-Industrie, mit unterschiedlichen Materialien, verschiedenen Techniken und Scuole, an denen diese gelehrt wurden! Die Masken-Macher, mascareri genannt, genossen hohes Ansehen und ihre Tätigkeit wurde im Jahr 1436 offiziell als Handwerksberuf eingetragen. Masken waren eine wunderbare Gelegenheit, sich inkognito über den Adel oder gar die Autoritäten lustig zu machen, Kontakte zu knüpfen und die Moral außen vor zu lassen. Der übliche Gruß ‚Buongiorno Siora Maschera‘ (Guten Tag Frau Maske) galt für alle, egal ob Mann oder Frau, Adliger oder vom niederen Volk. Das klassische Karnevals-Kostüm sah einen Tabarro (Mantel), die Bauta (Maske vor dem Gesicht) und den Tricorno (Dreispitz) vor. Wer sich kein eigenes Kostüm leisten konnte, musste nicht darauf verzichten, sondern mietete es einfach bei einem der vielen Revendigola (Kostümverleiher).
Auf den Hauptplätzen, entlang der Riva degli Schiavoni, auf der Piazzetta und der Piazza San Marco, wurden Bühnen aufgebaut, Jongleure, Gaukler, tanzende Tiere und Akrobaten faszinierten das Volk. Allerorts spielten Trompeter, Pfeifenspieler und Trommler und Straßenhändler verkauften getrocknete Früchte und das (auch heute noch) typische Karnevals-Gebäck: die Fritole (ähnlich der Krapfen). Unbekannte Süßwaren wurden angeboten. Dank Marco Polo und der engen Handelsbeziehungen, die Venedig mit dem Orient pflegte, lernte das venezianische Volk ganz fremde Geschmäcker kennen. Über viele Jahrhunderte hinweg dauerte der offizielle Karneval sechs Wochen, vom 26.12 bis zum Aschermittwoch. Doch oft starteten die Festivitäten bereits viel früher: Anfang Oktober wurden die ersten Feste gefeiert und man sah Maskierte in den Calli und am Bacino. Nach dem Dreikönigsfest intensivierten sich die Festivitäten nochmals, bevor sie ihren Höhepunkt in den Tagen unmittelbar vor der Fastenzeit fanden.
Einige Karnevals sind in die Annalen eingegangen…
…So im Jahr 1571, als bei Lepanto die siegreiche Schlacht der Christen gegen die ‚Ungläubigen‘ geschlagen wurde. Festwägen zogen damals über die Piazza San Marco, der unterlegene Glaube wurde als unterworfener Drache, die christlichen Tugenden als Allegorien dargestellt. 1664 wurde der Karneval in die Hochzeitsfeierlichkeiten im Hause Cornaro integriert: ein bis dato ungesehener Prunk prägte die Tage, mit einem Aufmarsch der prächtigsten Masken, die auch nicht vor den beiden berühmtesten Nonnenklöstern der Stadt (San Lorenzo und San Zaccaria) Halt machten – mit den entsprechenden ‘‘Konsequenzen‘‘! Wenige Jahre später, am 27. Februar 1679 zog der Herzog von Mantua mit einem Gefolge von Indianern, Negern, Türken und Tartaren durch die Stadt und bekämpfte dabei sechs Ungeheuer. Die Venezianer standen staunend Spalier und genossen dieses atemberaubende Spektakel. Venedig wurde zum Sinnbild von Vergnügen, Spiel und Masken. Es war die Welt von Giacomo Casanova, die Zeit berühmter Maler wie Giambattista Tiepolo und Rosalba Carriera (die erste Pastell-Malerin von Weltruf) und Carlo Goldoni, der die Commedia dell’Arte modernisierte, und die Sitten Venedigs in zahlreichen Komödien wiedergab. Doch das 18. Jahrhundert war bereits vom schleichenden Untergang der Venezianischen Republik gekennzeichnet.

Bild: © Gitta Eckl-Reinisch
Das Ende des Carnevale
Als Napoleon 1797 die Stadt okkupiert, verbietet er kurzer Hand den Karneval. Die ein Jahr später an die Macht gekommenen Österreicher halten das Verbot aufrecht. Maskierte Venezianer? Unkontrollierte Festivitäten? Die Angst vor möglichen Rebellionen und Menschenansammlungen ist viel zu groß, als dass sie den Venezianern dieses an sich harmlose Vergnügen gestatten! Doch Venedig zeigt sich auch hier stark: können wir nicht auf unserer Insel feiern, dann feiern wir halt auf den Inseln Burano und Murano…
Die Wiedergeburt des Carnevale
Es dauert bis zum Jahr 1979, dass der Carnevale di Venezia wieder aus der Asche gehoben wird. In erster Linie, um mehr Touristen nach Venedig zu ziehen… Dies mag bei einer aktuellen Besucherzahl von 80.000 Personen pro Tag unglaublich klingen, doch die Stadtvorderen, das Theater La Fenice und eine Vielzahl an Verbänden, sahen sich genötigt, etwas für das Stadtsäckel zu tun. So wurden alte Traditionen aus dem Vergessen hervorgeholt und neu belebt. Zum Beispiel la Festa delle Marie - die Wahl der schönsten Mädchen Venedigs. Einst war es Usus, dass der Doge einmal im Jahr die zwölf schönsten Mädchen aus armen Familien auswählte. Die Mädchen erhielten vom Staat eine Mitgift in Form von Juwelen und von den Patriziern eine Schenkung, welches es ihnen ermöglichte zu heiraten. Die Eheschließung wurde in einer offiziellen Zeremonie in San Pietro gefeiert. Als im Jahre 946 die Trauungen gefeiert wurden, drang plötzlich eine Truppe Piraten in die Kirche ein, raubte die Mädchen und ihre wertvolle Mitgift. Doch weit kamen die Angreifer nicht mit ihrer Beute. Der Doge organisierte sofort die Verfolgung und in der Nähe von Caorle wurden die Mädchen befreit, die Entführer getötet und die Mitgift sichergestellt. Bei der Rückkehr nach Venedig feierte die Bevölkerung ihren Doge und die Befreier und der Senat beschloss, diesen besonderen Tag, an dem Venedig wieder einmal seine Stärke gezeigt hatte, jedes Jahr aufs Neue hochleben zu lassen. Das war der Startschuss für ‚La Festa delle Marie‘ und bis heute hält sich diese Tradition, wenn auch nicht alle von ihrem wahren Ursprung wissen. Anfang Januar werden nun aus etwa 100 Bewerberinnen zwischen 18 und 28 Jahren die schönsten zwölf Mädchen (jeweils 2 für eines der sechs Sestieri) ausgewählt. Diese marschieren am ersten Karnevalssonntag nach einer feierlichen Messe in einem Festzug von San Pietro di Castello zur Piazza San Marco.
Begleitet vom Dogen und seinem Hofstaat, alle in historischen Kostümen aus dem 18. Jahrhundert. Um 11.00 Uhr wird die schönste Marie des Vorjahres an einem Drahtseil vom Campanile heruntergelassen und schwebt über die begeisterte Menge in die empfangsbereiten Arme des Dogen. Dieser Akt des Volo dell’Angelo – der Flug des Engels – ist der offizielle Start des Karnevals. Lo svolo del Leon – der Abflug des Löwen – am martedì grasso (Faschingsdienstag) stellt wiederum das Ende der Feierlichkeiten dar. Von der auf dem Markusplatz aufgebauten Bühne wird die Fahne der Republik Venedig an einem Seil zum Campanile gezogen. Tausende an Besuchern und natürlich die schönste Marie und der Hofstaat wohnen diesem Augenblick bei und verabschieden den Karneval bis zum nächsten Jahr. Dazwischen kann man sich auf den unterschiedlichsten Festen amüsieren, wie zum Beispiel dem völlig überteuerten (aber sehr begehrten) offiziellen Ball im Palazzo Ca‘ Vendramin Calergi – The Official Dinner Show and Ball — , wo man zum Preis von 500,00 Euro ein ‚typisches‘ venezianisches Fest mit Aperitif, 5‑gängigem Menü, Tanz und mitternächtlicher Show genießen kann. Hier residierte einst Richard Wagner und komponierte seinen Parsifal.

Bild: © Gitta Eckl-Reinisch
Doch auch stille Momente sind möglich.
Zum Beispiel bei der Vogata del Silenzio am Ende des Carnevals, während derer die Gondeln bei Kerzenschein und in vollkommener Stille von Rialto zum Bacino rudern. Oder auch am Sonntag-Morgen, so gegen 07.30 Uhr, wenn sich am Bacino (bei den beiden Säulen der Piazzetta und hinter dem Dogenpalast) die schönsten Masken zum Stelldichein treffen. Phantasievoll Maskierte stellen sich in Pose, lassen sich fotografieren und genießen selbst diese besondere Stimmung: Wenn das morgendliche Licht das Wasser in der Lagune glitzern lässt, die Piazza San Marco noch menschenleer ist und die Frühaufsteher im Caffè Florian Hof halten – dann bekommt man ein Gefühl davon, wie der Carneval einmal wohl gewesen sein mochte. Leider ist es um spätestens 10.00 Uhr schon wieder vorbei mit dieser ganz besonderen Atmosphäre. Nun heißt es: flüchten oder sich dem Trubel hingeben! Der Carnevale di Venezia 2025 wird vom 15. Februar bis 4. März stattfinden. Bereits am 7.2. beginnen die Feste. Speziell die Wochenenden sind mit Veranstaltungen gefüllt, aber auch unter der Woche sieht man wunderschön maskierte Venezianer (und Touristen) durch die Calli spazieren: herumwirbelnde Kinder in historischen Kostümchen, gesetzt dahin schreitende vermeintlich Adlige, aus der Vergangenheit zurückgekehrte Dogen, die sich von ihrem Zehnerrat begleiten lassen, und verführerische Kurtisanen, die Hof halten. Allenthalben werden sie gebeten, für ein Foto kurz still zu halten – einer Bitte, der sie gerne nachkommen.
Im Caffé Florian, dem ältesten Kaffeehaus Italiens, sitzen sie, die Schönen und Reichen, hinter den hohen Fenstern an kleinen Tischen und auf Plüschsofas, und stellen sich den vielen Touristen zur Schau. Für mich ist der Karneval jedes Jahr ein besonderes Ereignis und jedes Mal anders. Er ist — auch wenn Tausende an Besuchern kommen – doch noch ein venezianisches Fest. Nicht so sehr wie La Festa del Redentore im Juli oder La Festa della Madonna della Salute im November, aber für sehr viele meiner venezianischen Freunde eine Möglichkeit, ihre bei dem Schneider ihres Vertrauens erworbenen Kostüme zu tragen, sich mit Freunden zu treffen und zu feiern. Da es Anfang des Jahrtausends zu unschönen Szenen und gefährlichen Momenten kam, wird der Zugang zum Markusplatz mittlerweile abgesperrt. Martialisch aussehende Soldaten stehen mit Maschinengewehren an den verschiedenen Eingängen und lassen nur eine begrenzte Anzahl an Besuchern auf den Platz. Dass jeder Rucksack genauestens untersucht wird, ist eine der vielen weiteren Sicherheitsvorkehrungen. Bereits ab der Piazzale Roma und dem Bahnhof Santa Lucia wird kontrolliert und gegebenenfalls eine Schleuse eingerichtet, um die Besucherzahl zu steuern. Hat man sich bis zum Markusplatz durchgekämpft (oft entspricht dies an den ‚heißen‘ Tagen von Gründonnerstag bis Faschingsdienstag tatsächlich einem Kampf), ist man mittendrin und kann die Atmosphäre genießen. Dank einer riesigen Leinwand, sind alle Aufführungen auf der Bühne auch von der Ferne zu verfolgen. Venedig ist immer eine Reise wert, ob an Carnevale oder zu einer anderen Zeit. Ich kann nur jedem empfehlen, sich ein paar Tage in der Serenissima zu gönnen. Forse ci vediamo?

Bild: © Gitta Eckl-Reinisch
Info-Kasten: Über den Ursprung des Namens Carnevale gibt es verschiedene Deutungen. Einer bezieht sich auf die lateinischen Wörter carnem levamen, d.h. ‘‘das Fleisch wegnehmen‘‘. Andere leiten die Bezeichnung dagegen von carnem vale ab, d.h. ‘‘das Fleisch zählt‘‘ oder auch ‘‘auf Wiedersehen Fleisch‘‘ (vale im Sinne von addio). Eine weitere Bedeutung könnte von carrus navalis kommen, d.h. eine Art Fahnenwagen, der bei Prozessionen genutzt wurde. Wer auch immer Recht haben mag, der Karneval wird in der christlichen Tradition als Festzeit angesehen, in der man sich maskiert und seine Späße treibt, bevor die Fastenzeit und mit ihr die Enthaltsamkeit und der Verzicht auf Fleisch beginnen. |

Gitta Eckl-Reinisch ist Dolmetscherin, Übersetzerin und Sprachdozentin für Italienisch, hat sich spezialisiert auf Erlebnis-Sprachreisen nach Italien. Sie war schon mehr als 54x in Venedig und entdeckt trotzdem immer wieder etwas Neues für ihre Kundinnen und Kunden.
Mehr dazu hier: www.italviva.de.
Bild: © Gitta Eckl-Reinisch
Der gesamte Beitrag ist in einer vorherigen Ausgabe des Magazins Pure & Positive erschienen.