Der Weg zu ihrer Berufung zeigte sich für Karin Simon bereits mit 15 Jahren, als ihre Mutter nach langer Krankheit starb. Schon damals begann sie, nach dem “Warum” zu fragen sowie mit der Suche nach dem Sinn des Lebens. Ganz früh erwachte außerdem der Wunsch in ihr, für andere Menschen da zu sein. Sie hat früh gemerkt, dass sie die Gabe hat, Menschen Trost zu spenden. Nach vielen Aus- und Weiterbildungen fand sie den Weg zur Trauer- und Sterbeamme und unterstützt heute Menschen darin, die Trauer liebevoll zu wandeln. Aber auch die Musik gehört zu ihrem Leben. Damit, sowie als Trauerrednerin, kann sie außerdem Abschiedsfeiern mit eigens komponierten Liedern würdig und liebevoll gestalten.
Du bist in einem sehr breiten Tätigkeitsfeld unterwegs. Bitte nimm uns doch mal ein bisschen mit auf deinen Weg und zu dem, was du heute tust. Wie hat sich das alles entwickelt?
Mein Weg zu dem, was ich heute mache, hat im Grunde mit 15 Jahren angefangen, als meine Mutter verstorben ist. Ich war ein wohlbehütetes Kind aus guten Verhältnissen, aber auf einmal hat das Schicksal zugeschlagen. Als ich 13 Jahre alt war, hatte meine Mutter ihren ersten epileptischen Anfall, was sich später als eine vorzeitige Demenz herausgestellt hat. Es ist dann über zwei Jahre gegangen, dass sich meine Mutter von einer humorvollen, lebenslustigen, liebevollen Frau zu einem dahinvegetierenden und auf dem Klostuhl festgeschnallten Elend entwickelt hat. Die letzte Zeit habe ich sie dann auch gar nicht mehr besucht, weil ich den Anblick einfach nicht ertragen habe. Das war nicht mehr meine Mama. Und dann war sie auf einmal tot. Als sie dann gestorben war, habe ich mir natürlich große Vorwürfe gemacht, dass ich sie nicht nochmal besucht habe — und ich war so voller Schuld. Dann kam in einer Nacht plötzlich ein helles Licht zu mir ins Kinderzimmer. Ich war ein Einzelkind und fühlte mich sehr allein, weil mein Vater sich schon wieder schnell anderen Frauen zugewandt hatte.
„Karin, da wo ich bin, gibt es keine Schuld!” Das war der Startschuss und heute weiß ich auch, dass meine Mama sich zur Verfügung gestellt hat, so früh zu gehen, um mich in meine Kraft zu bringen, und weil ich glaube, dass meine Berufung genau das ist: Menschen, die Angst zu nehmen. Diese brutale Angst vor dem Sterben und vor dem Tod, wenigstens einen Teil davon, denn ganz nehmen kann man es schließlich nicht.”
Damals wusste ich es noch nicht, aber dieses helle Licht war meine Mama, die gesagt hat: „Karin, da wo ich bin, gibt es keine Schuld!” Das war der Startschuss und heute weiß ich auch, dass meine Mama sich zur Verfügung gestellt hat, so früh zu gehen, um mich in meine Kraft zu bringen, und weil ich glaube, dass meine Berufung genau das ist: Menschen, die Angst zu nehmen. Diese brutale Angst vor dem Sterben und vor dem Tod, wenigstens einen Teil davon, denn ganz nehmen kann man es schließlich nicht. Im Jahr 2014 habe ich selbst dann Krebs gehabt und gemerkt, dass auch ich Angst habe, aber man kann leichter mit so einer Angst durchs Leben gehen, wenn man sich mit dem Tod beschäftigt hat. Und das machen eben die meisten Menschen nicht, weil sie so viel Angst haben davor. Man schiebt es weg nach dem Motto: „Gestorben wird woanders, aber nicht bei mir!”. Ich hingegen habe mich nun als 15jähriges Mädchen angefangen, damit zu beschäftigen: Wo ist denn jetzt die Mama und warum musste das passieren?! Wieso gibt es Kriege und wieso müssen Menschen so viel leiden?! Wo kommen wir her und wo gehen wir hin?! Was passiert nach dem Tod?!
Und weißt du, wenn man so einen Wunsch ins Universum speist, dann kommen irgendwie immer die Leute, die man braucht, damit man wieder ein Stück weiter kommt. Die Eine hat mir ein Engelsbuch geschenkt, die Nächste mir etwas von einem Schamanen erzählt und wiederum eine Andere eine Heilung mit mir gemacht. Alle wollten, dass ich die Mama loslasse, aber irgendwann habe ich ihre Stimme gehört, die sagte: „Lass mich nicht los, sondern lass mich bei dir sein, ich möchte mit dir durchs Leben gehen!” Und genau das vermittle ich jetzt weiter. Ich bin dann zuerst Krankenschwester worden — und zwar genau in dem Krankenhaus, wo sie verstorben ist — um Schuld abzutragen, was mir damals aber zunächst nicht bewusst war. Dann war ich viele Jahre in diesem Beruf tätig und natürlich immer wieder mit dem Sterben, dem Tod und diesem wahnsinnigen Schmerz der Angehörigen konfrontiert. Schon damals bin ich immer in die Zimmer gegangen und habe gesagt, dass es nun Zeit ist, sich voneinander zu verabschieden. Das ist der wichtigste Satz, den alle, die Sterbende begleiten, sagen sollten, damit es ausgesprochen ist, und damit die Menschen nochmal miteinander reden. Das ist ganz wichtig.

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Als ich dann um die 50 war, konnte ich dieses ganze System Krankenhaus, das sich so massiv verändert hat, nicht mehr ertragen. Man hatte keine Zeit mehr für die Menschen und ist im Dauerlauf durch die Nachtschicht gerannt. Früher hat man sich mal an ein Bett gesetzt oder mit den Leuten gesprochen. Das war urplötzlich nicht mehr möglich, weil nur noch das Geld wichtig war. Meine Seele ist so derartig daran zerbrochen, dass ich in eine schwere Depression und in ein schweres Burnout gerutscht bin. Ich konnte einfach nicht mehr, habe es nicht mehr ertragen und mit 50 stellt man sich ja dann schon die Frage, ob das jetzt alles war?! Daraufhin ließ ich mich zur Heilpraktikerin für Psychotherapie ausbilden und habe angefangen, in meinem eigenen Therapieraum zu arbeiten. Dann wirkte das Gesetz der Anziehung und es kamen immer mehr Menschen mit dem Tod vor den Augen, die ihre unerledigten Dinge mittels Familienaufstellung bearbeiten wollten. Es kamen ganz viele Trauernde und es sind mir außerdem ständig Sterbeammen über den Weg gelaufen. Vorher wusste ich gar nicht, was das genau ist, und es somit für ein Zeichen gehalten. Daraufhin habe ich dann in der Nähe noch diese Ausbildung zur Sterbe- und Traueramme sowie zur Trauerrednerin gemacht. Heute plane ich mit Sterbenden die Beerdigung, begleite die Beerdigung, bin Trauerrednerin und bleibe bei den Trauernden, so lange sie es wollen und brauchen. Zusätzlich bin ich mit den Trauernden auf Korfu unterwegs und dann kommt auch noch die Kabarettistin in mir durch. Seit meinem 18. Lebensjahr schreibe ich Songs, damals schon, um den Tod von meiner Mama zu verarbeiten. Meine erste große Liebe damals sagte mir daraufhin, dass ich unbedingt auf die Bühne müsse, und so kam es nach anfänglicher Ablehnung meinerseits, dass ich auf meinem eigenen Abiturball dann gesungen habe. Auf diese Weise war ich infiziert (lacht), es ist nämlich schon ein tolles Gefühl, wenn man das bei sich erkennt.
„Da oben gibt es etwas! Ich weiß es, ich glaube es nicht mehr, ich weiß es durch meine Arbeit! (…) Erst wenn du deine eigenen Ängste, Sorgen und sogenannten Schatten kennst und annimmst, kannst du anderen Menschen helfen, ihre Schatten wiederum anzunehmen. Und erst wenn du deine eigenen Tränen geweint hast, kannst du anderen Menschen Mut machen, ihre Tränen zu weinen. Genauso ist es mit Wut und Zorn, alles, was Sterbende wie auch Trauernde haben…”
Wie wird man eine ausgebildete Trauer- und Sterbeamme? Was macht das mit dir und wie läuft so etwas genau ab? Das ist ja schon ein sehr emotionales Thema und jeder geht damit unterschiedlich um…
Gezweifelt habe ich nie, denn ich habe ja schon im Krankenhaus gemerkt, dass die geistige Welt existiert, sei es jetzt Gott, Jesus, Maria, Buddha oder wie man es auch immer nennen möchte. Da oben gibt es etwas! Ich weiß es, ich glaube es nicht mehr, ich weiß es durch meine Arbeit! „Die da oben” haben wohl beschlossen, dass ich das tun soll und als ich dann 2014 an Krebs erkrankte, habe ich Jesus mein Leben übergeben und gesagt, er solle mir meinen Weg zeigen. Wenn ich jetzt an Krebs sterben soll, dann gehe ich, aber ich habe keine Angst mehr. Seitdem läuft das einfach. Ich vertraue mich voll an und lasse mich nur noch führen. Ich höre, was soll ich tun soll, und bekomme meine Antwort. Nun habe ich oft das Gefühl, dass, wenn ich Sterbende begleite, „durch mich gearbeitet wird”. Als ich mal eine Frau im Arm gehalten habe, die im Sterben lag und die voller Angst und Panik war, sagte ich ihr, sie solle im Vertrauen loslassen, denn sie könne nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand. Ich weiß nicht, was ihr so Angst gemacht hat, nur, dass wir unsere Ahnen und auch Engel sehen, wenn wir gehen. Als die Seele dann den Körper verlassen hat, habe ich einen Ruck im Körper von der Verstorbenen gespürt und seitdem weiß ich, dass es eine Seele gibt. Ich glaube es nicht mehr, ich weiß es und dass ich wohl ein Werkzeug bin.
Nun lasse ich es immer mehr zu, auch wenn es mir am Anfang schon Angst gemacht gemacht. Und die Ausbildung zur Sterbeamme beinhaltet u.a. Selbstreflexion und die eigenen Schatten anzunehmen. Erst wenn du deine eigenen Ängste, Sorgen und sogenannten Schatten kennst und annimmst, kannst du anderen Menschen helfen, ihre Schatten wiederum anzunehmen. Und erst wenn du deine eigenen Tränen geweint hast, kannst du anderen Menschen Mut machen, ihre Tränen zu weinen. Genauso ist es mit Wut und Zorn, alles, was Sterbende wie auch Trauernde haben: Wenn du deine eigene Schuld angeschaut hast, die du dir aufgeladen hast, kannst du Menschen begleiten, die sich schuldig fühlen. In den 5 Phasen der Ausbildung lernt man dann auch noch viel über Kommunikation, denn wir müssen darüber reden können! Irgendwann ist nämlich jeder dran! Es ist egal, wie weit wir es wegschieben, wir sind alle Sterbende in dem Moment, wo wir auf die Welt kommen! Mittlerweile habe ich dafür einen gut gefüllten Werkzeugkoffer wie u.a. Fantasiereisen etc. Das hilft immer sehr! Ich habe jetzt übrigens auch einen Sterbevorbereitungskurs kreiert und sage: „Leute, bereitet euch vor, dann geht das Sterben ganz leicht.
Du hast gerade das Buch „Von Bleiben War Nie Die Rede” veröffentlicht. Wie gelingt denn der große Abschied gut, würdevoll, in Frieden und ohne Angst?
Erst einmal muss ich sagen, dass ich das Buch nicht alleine geschrieben habe. Ich hatte eine Ghost Writerin. Nach einem Auftritt im Fernsehen und Radio kam sie auf mich zu. Ich wäre niemals von alleine darauf gekommen, ein Buch zu schreiben. Es ist zwar mein Wissen, aber sie hat es in eine wunderbare Form gebracht. Und nun arbeite ich auch schon am zweiten, was aber eher eine Anleitung für das Sterben ist. Ich betone wirklich immer wieder, dass man sich im Leben bewusst mit dem Tod beschäftigen sollte. Habt den Mut! Ich weiß leider nicht, warum das Thema bei uns so angstbesetzt ist, und schiebe das schon auch ein bisschen auf die Kirche. Wir haben uns entschlossen, hier auf diese Erde zu kommen, das ist unsere Seelenentscheidung gewesen. Gott würde uns niemals strafen, sondern wenn strafen wir uns selber. Man kann nicht sagen, wie Gott es zulassen kann, dass jetzt in der Ukraine die Bomben fliegen. Nein, das haben wir Menschen verursacht, auch den Klimawandel haben wir Menschen verursacht und jede Erkrankung. Nur man selbst ist dafür verantwortlich! Jede Krankheit ist eigentlich ein Hilferuf unserer Seele und da müssen wir hinschauen und nicht wegrennen. So kann sich schon ganz schön viel verändern. Und dann kann man auch leichter sterben. Man kann nur leicht sterben, wenn man seine unerledigten Dinge angeschaut hat — und zwar in der Innenschau. Oft ist es so, dass der Tod der größte Lehrmeister ist. Plötzlich fangen einige an zu malen oder ein Musikinstrument zu spielen.
Da bist du ja auch jedes Mal wieder in einer neuen Situation. Wie fängt man Angehörige gut auf und wie gibt man ihnen Kraft?
Ich sage immer, wenn jemand gestorben ist, im Sterbebett liegt oder auch wenn jemand trauert, den zerreißt es erst einmal in 1000 Teile. Das ist ein unglaublicher Schmerz für die einen, weil sie gehen müssen, und für die anderen, weil sie bleiben müssen. Und wir Menschen neigen dazu, immer helfen zu wollen, die Puzzleteile aufzuheben und zusammenzukleben, aber das ist der falsche Weg! Du kannst dem Sterbenden das Sterben nicht abnehmen und du kannst und sollst auch den Trauernden die Trauer nicht wegnehmen. Das ist der eigene Prozess, durch den man lernen kann und muss, und wenn man es ihnen abnimmt, traut man es ihnen selbst ja nicht zu. Dann würde ich sie klein und abhängig von mir machen und das möchte ich nicht. Ich kann ihnen Tipps geben, aber keine Ratschläge, weil da das Wort „Schläge” drinsteckt. Das Wichtigste im Trauerprozess ist es den Prozess zuzulassen. Mach dir aus der Kleidung deines Verstorbenen eine Trauerdecke, ziehe etwas von dem Verstorbenen an oder bastle dir ein Trauermonster. Das mache ich auch mit den Trauernden, entweder wir häkeln eins oder machen das aus Ton. Es darf alles da sein: Leg dich hin, heule, schluchze, schrei, lass deine Wut raus, bis alles draußen ist. Ich habe es auch nicht selten, wenn bei mir jemand anruft, weil ein Angehöriger gestorben ist und ich die Trauerrede machen soll, dass sie sich erst einmal entschuldigen, dass sie weinen. Das ist ja auch oft noch so ein gesellschaftliches Ding, wie „Der Indianer kennt keinen Schmerz”. Ich sage immer: „Weinen Sie! Weinen Sie so viel, wie Sie nur können!”
Die Trauer bleibt ein Leben lang, aber sie kann sich wandeln, dass du gut mit ihr leben kannst. Trotzdem wird sie dich immer wieder mal erwischen und wenn du das akzeptierst, dann wird die Trauer ganz ruhig und klein, weil sie gesehen wird. Das ist das Wichtigste überhaupt. Nicht dagegen anzukämpfen. Ich kann als Wegbegleitung für einen kurzen oder auch längeren Weg an der Seite sein, sie dürfen sich bei mir anlehnen und ich nehme sie auch in den Arm. Ich sorge da aber gut für mich und kann all das durch die Füße an Mutter Erde wieder abgeben. Das ist mein Ritual, dass das nicht bei mir kleben bleibt, und wenn es das tut, gehe ich kalt duschen oder in den Wald und schreie ein bisschen.

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„Jede und jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich. Wir können nicht die Welt retten, vergiss es, es kann sich nur jeder selber retten.”
Wie viele Sterbende hast du schon begleitet und schaust du dadurch jetzt anders auf das Leben?
Ich habe keine Ahnung. Das kann ich wirklich nicht mehr zählen. Schau, ich war 35 Jahre lang als Krankenschwester tätig und bin jetzt schon seit 15 Jahren Sterbeamme, also es waren schon einige. Und natürlich schaue ich dadurch anders auf das Leben! Ich schaue seit dem 15 Lebensjahr anders auf die Welt, bin nicht weggelaufen, habe in diese Abgründe meiner Trauer reingeschaut und mich nach dem Warum gefragt. Dann habe ich Antworten bekommen. Mein Leben hat sich dadurch total verändert. Es verändert sich jeder, der mal an einem Sterbebett gestanden hat, oder Mama, Papa oder gar ein Kind oder Lebensgefährten verloren hat. Man wird leichter und nimmt die Essenz des Lebens anders wahr. Ich mache auch immer Mut: Lasst eure Fenster dreckig sein. Es wird nie auf einem Grabstein stehen, wie gut man mal seine Fenster geputzt hat! Das interessiert keinen! Aber geht jetzt zu dieser Jahreszeit auf die Wiese, der Löwenzahn blüht, ich liebe das! Genießt einfach mehr, hört die Vögel zwitschern, genießt die einzelnen Momente, am Meer zu sitzen, den Sonnenuntergang zu beobachten und nicht schon zu überlegen, was man nächstes Jahr macht. Viel mehr den Moment mit allen Sinnen genießen, die man hat. Klar muss man auch mal Fenster putzen, logisch, aber es darf einen nicht bestimmen — auch nicht, was die anderen denken. Das ist mir inzwischen vollkommen egal. Unsere Ausbilderin hat mal gesagt, wenn du in deinem letzten Bett liegst, läuft der Film deines Lebens nochmal ab, und welchen Film willst du da sehen?! Tu also, was dir gut tut. Und nicht, was die anderen sagen.
Du trägst nicht das Leid der Welt auf deinen Schultern. Natürlich fahre auch ich mal nach Hause und muss weinen, aber dann gehe ich in den Wald und umarme einen Baum. Jede und jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich. Wir können nicht die Welt retten, vergiss es, es kann sich nur jeder selber retten. Wir müssen auch Selbstschutzübungen machen, das ist ganz wichtig, weil du sonst kaputt gehst. Im Moment ist es wirklich gruselig auf der Welt, aber ich glaube, dass Gott ganz genau weiß, was er tut, und es hat alles seinen Sinn. Wir haben durch Corona nicht kapiert, um was es geht, und jetzt wird es halt immer schlimmer. Ich mache ab und zu Friedensmeditationen über Zoom und Facebook, weil ich daran glaube, dass wenn jede und jeder Liebe und Hoffnung ins Feld speist, dass man das vielleicht noch retten kann. Deswegen bin ich nun kein besserer Mensch, aber die geistige Welt hat mich dafür ausgesucht.
Mit welchen Techniken und Methoden arbeitest du?
Ich arbeite unter anderem mit Angst- oder Trauermonstern. Wenn ich Trauernde oder Sterbende begleite, bekommen sie die in den Arm. Das habe ich auch selbst durch ein Buch gelernt: „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht”, von Sabine Dinkel, die leider auch schon nicht mehr lebt. Sie hatte auch ein Angstmonster mit dem Namen Hildegard und hat mit diesem Kuscheltier gesprochen. Die Trauer will kein Mensch haben, weil sie so weh tut, aber nimm sie an, wandle sie und halte bei Panik o.ä. so ein Trauermonster in den Arm. Das kann helfen. Damit arbeite ich zum Beispiel viel.
Als Traueramme ist dann innerhalb der Trauerzeit sicher auch eine andere Begleitung notwendig. Wie schaffst es auch, die Trauer nicht mit nach Hause zur Familie zu nehmen?
Da gibt es schon ein paar Rituale. Ich gebe, wie gesagt, alles ab an Mutter Erde und habe mir geistig in die Fußsohlen Energielöcher installiert. Natürlich weine ich manchmal auch mit, aber dabei darf ich nicht untergehen. Ich muss der Fels in der Brandung bleiben, das lernt man bei der Sterbeammenausbildung. Wenn ich merke, dass ich zu viel aufgenommen habe, gibt es die Möglichkeit, andere Kleidung anzuziehen. Und dann ist der wichtigste Satz: „Das ist deine Geschichte, nicht meine!” Wenn da jemand stirbt oder trauert, bin ich voll bei und mit ihnen, aber es bleibt ihre Geschichte. Es ist ihr Weg und ihre Geschichte und ich habe meine und dann bin ich auch wieder „abgetrennt” und kann nach Hause fahren. Supervision kann da auch gut helfen, genau so wie sich ein Netzwerk von Sterbeammen aufzubauen, in dem man sich austauschen und auch mal weinen kann. Mehr braucht es oft gar nicht. Wenn du das alles mit nach Hause nimmst, machst du den Job nicht lange.

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Du sagst: „Womit wir uns befassen, dem nehmen wir den Schrecken.” Andere Kulturen gehen bekanntlich viel offener mit dem Sterben und Tod um. Es ist ja sicher auch ein gesellschaftliches Thema bei uns. Was denkst du, wie können wir lernen, hier zu Lande zu enttabuisieren und offener damit umzugehen? Wie können wir die Trauer liebevoll wandeln?
Dadurch, dass man sich einfach bewusst macht, dass der Tod da ist, er ist Teil des Lebens. Wenn man ihn verdrängt und nicht darüber redet, macht es das noch schlimmer. Schaut die Verstorbenen an. Ihr werdet sehen, dass sie ganz friedliche Gesichter haben. Und macht euch bewusst, dass in dem Moment, wo wir geboren werden und unseren ersten Schrei machen, bereits Sterbende sind — und zwar alle. Lasst auch Kinder daran teilhaben. Wenn man die „richtige” Religion hat, weiß man, dass der Mensch nach Hause geht, und dass das hier auf dieser Erde nur ein Zwischenspiel ist, eine Bühne und ein Theaterstück, für das du selbst verantwortlich bist. Wird es ein Drama oder wird es eine Komödie?! Und wenn der Vorhang fällt, gehst du nach Hause und sonst nichts. Es ist nicht unser Zuhause hier, es ist es nur eine Bühne des Lebens, um etwas zu lernen. Ich freue mich auch wirklich darauf, habe sogar mal ein Lied dazu geschrieben: „Lass los, da oben gibt es keine Steuererklärung!” Wenn du Tote siehst, wirst du sehen, wie friedlich sie aussehen, und wie sie lächeln. Einfach, weil da Frieden einzieht. Und Liebe. Es ist spürbar, wenn jemand geht, dass die Engel kommen und sie oder ihn abholen. Das verändert einen, man lebt intensiver und verliert die Angst vor dem Sterben.
Nochmal etwas Persönliches zum Abschluss: Welche Bilder hast du vor Augen, wenn du an das Leben nach dem Tod denkst? Siehst du alles durch deine Arbeit noch klarer oder bist du einfach im Vertrauen?
Ich weiß es und das ist ein gutes Gefühl. Ich kenne Geschichten von Waschmaschinen und Lampen, die urplötzlich wieder funktionieren. Oder man schaltet den Computer an und urplötzlich ist ein Bild da, was aber nie jemand vorher installiert hat, es klopft aus der Ecke oder ein Licht flackert. Bei mir war es so, als meine Freundin verstorben ist, dass ich sie um eine Zeichen gebeten habe, dass sie „gut drüben angekommen ist”. Plötzlich ist eine Taube gekommen, hat am Balkon gesessen und wir haben uns eine halbe Stunde lang angeschaut. Ich könnte noch von vielen solcher Beispiele erzählen…
Du veranstaltest außerdem Retreats, wie demnächst auf Korfu, wo du Menschen sieben Tage begleitest. Erzähl uns doch auch bitte hier nochmal etwas und wie man dich erreichen und Kontakt zu dir aufnehmen kann.
Wir sind auf Korfu sieben Tage lang am Meer in einem wunderschönen meditativen Club, wo ganz viel spirituell gearbeitet wird. Das spürst du, wenn du an diesen Platz kommst. Ich habe den Club damals im Rahmen einer Clowns-Ausbildung kennengelernt. Kurz darauf ist ein guter Freund von mir verstorben, der sich leider suizidiert hat, und ich bin hingefahren, um meine Trauer zu verarbeiten. Dabei ist die Idee entstanden, genau dort diese sieben Tage anzubieten. Es ist eine Reise für Trauernde, wo wir u.a. Trauermonster kneten, um die Situation schweigend anzunehmen, aber auch die Gefühle, die Trauer, den Schmerz und die eigene Wut da hinein zu kneten. Einmal stieß mich dabei meine Nachbarin an, eine Dame, die ihren Mann verloren hat, und sagte: „Schau mal dieses Trauermonster an, es weint”. Aus den Augen ist wirklich Wasser rausgelaufen. Ja, die geistige Welt macht Dinge und will uns immer wieder aufmerksam machen: Habt keine Angst! Auch eure Verstorbenen sind bei euch, immer.
„Alles, was mir ins Gesicht lacht, verliert seinen Schrecken!”

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Du hattest auch schon erwähnt, dass du außerdem musikalisch talentiert bist. Wie baust du deine Kabaretts in deine Arbeit ein?
Ich hatte immer schon einen Hang zur Liedermacherin, da ich darüber ja wie gesagt den frühen Tod meiner Mutter verarbeitet habe, indem ich melancholische Texte geschrieben habe. Dann hat ja mein guter Freund als Gitarrist gesagt, dass ich auf die Bühne muss. So kam es, dass ich an meinem eigenen Abiturball auf die Bühne geschubst wurde und somit infiziert war. Es ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man da oben singt und die Leute applaudieren. Später sagte mir jemand: „Deine Stimme ist zwar super, aber deine Texte sind nicht gut, bitte mach mal etwas, dass die Leute lachen können!” So wurde dann die Kabarettistin geboren. Über 16 Jahre lang habe ich dann zu viert mit anderen Frauen und sehr großem Erfolg ein sehr derbes Frauenkabarett gemacht. Und irgendwann kam wieder jemand zu mir, der mir sagte, ich hätte eine unglaubliche Art über den Tod zu sprechen, und solle daraus ein Kabarett machen. Ich war schon zunächst skeptisch, aber er sagte: ‚Alles, was mir ins Gesicht lacht, verliert seinen Schrecken!” Daraufhin bin ich dann lange mit der Idee schwanger gegangen und durch den Tod meiner Freundin Frieda, die ich ebenfalls im Sterben begleitet habe, bekam ich letztlich ein Zeichen. So kam das dann. Ein paar sind mit der Zeit gegangen, andere wiederum dazu gekommen. Und so sind wir nun unterwegs gewesen. Das habe ich mit ihm da oben abgesprochen (lacht). Er hat zu Karfreitag zum Beispiel gesagt: „Toll, an meinem Tag, wo ich sterben muss, so etwas zu singen!”
..Das ist das Wichtigste, weil wenn man sich damit beschäftigt, beginnt man mit der Innenschau, und wenn jeder Mensch sich mit sich selbst beschäftigen und meditieren würde, wie schön wäre dann diese Welt. Man kann eh nichts mitnehmen. (…) Wenn auch Putin, Trump und wie sie alle heißen, begreifen würden, dass sie ebenfalls irgendwann gehen, und zwar genauso, wie sie gelebt haben, würden sie sich ändern…”
Gibt es noch etwas, was dir zum Abschluss auf dem Herzen liegt?
Ich habe ein großes Anliegen an die Menschen: Bitte beschäftigt euch mit dem Tod. Habt den Mut dazu! Wir müssen begreifen, dass wir alle irgendwann sterben werden. Lest es mein Buch (lacht), abonniert den Newsletter, ruft mich bei Fragen an oder nutzt das Kontaktformular auf meiner Seite. Das ist das Wichtigste, weil wenn man sich damit beschäftigt, beginnt man mit der Innenschau, und wenn jeder Mensch sich mit sich selbst beschäftigen und meditieren würde, wie schön wäre dann diese Welt. Man kann eh nichts mitnehmen. Ich weiß nicht, warum sich die Menschen so bekriegen und Bomben auf sich draufhauen. Irgendwann sterben auch Trump und Putin und wie sie alle heißen, die uns hier die Erde so zerstören. Wenn auch sie begreifen würden, dass sie ebenfalls irgendwann gehen, und zwar genauso, wie sie gelebt haben, würden sie sich ändern…
Das ganze Interview gibt es bei uns HIER im Podcast (#Folge58).

In dem Buch „Von Bleiben War Nie Die Rede: Eine Sterbeamme erzählt vom großen Abschied und wie er ohne Angst gut gelingt” geben Karin Simon und Shirley Michaela Seul eine Art ´Gebrauchsanweisung für das Sterben. Karin ist als Sterbeamme an der Seite von Sterbenden und ihren Angehörigen und hat dem Tod schon oft gegenüber gestanden. Sie hat bereits viele Hände sterbender Menschen gehalten und sieht ihre Aufgabe darin, Menschen zur Seite zu stehen, damit sie in Ruhe, in Würde und Frieden sterben können.
Mehr zu Karin Simon HIER.
Bild: © Karin Simon







