Miryam-Jeanine Minaty ist Diplom-Kommunikationsdesignerin, als CCO bei Kieser tätig und dort als Mitglied der Geschäftsleitung für die Bereiche PR und HR verantwortlich. Im Jahr 2010 startete sie bei der RSG Group als Mitglied der 4‑köpfigen Holding im Bereich Brand- and New Business Development. McFIT war zu dieser Zeit die einzige Marke des Unternehmens, das in den über 13 Jahren ihrer Tätigkeit auf mehr als 25 Marken wuchs und europaweit — sowie ab 2016 in die USA — expandierte. Mit uns spricht Jeanine über die Herausforderungen als Frau in Führungsverantwortung, ihre größten Learnings, wie wichtig Menschlichkeit bei allem ist sowie die Frauenquote, Deutschlands Stand in der Welt, die Gesundheitsbranche in der Zukunft und was ihr an ihrem Job am meisten Freude bereitet.
Erzähl uns doch bitte ein bisschen von deinem Weg und wie sich alles entwickelt hat. Ist dein Karriereweg dabei immer gerade verlaufen?
Oh nein, mein Weg ist ganz bestimmt nicht immer gerade verlaufen. Dazu könnte ich jetzt viel erzählen, aber es auch auf den Punkt bringen. Ich kann schon sagen, dass sich vieles ergeben hat und Menschen mir Wege aufgezeigt oder einfach auch Türen aufgemacht haben, durch die ich dann gegangen bin. Das alles beruhte also nicht auf einer genauen Planung meinerseits. Ursprünglich habe ich auch viel lieber Musik gemacht, Klavier, Gitarre und Schlagzeug gespielt und gedacht, dass auf mich nun eine große Rockstar-Karriere wartet (lacht). Dann kam aber irgendwann nach dem Abi der Moment, wo man sich bewerben bzw. eine Ausbildung machen musste. Mir war zu diesem Zeitpunkt klar, dass meine Eltern bei der Idee ein Jahr Gitarrenschule in Wien zu machen nicht mitgehen würden, also versuchte ich es mit Alibi-Bewerbungen im Bereich Schauwerbegestaltung und Visual Merchandising — und wurde genommen. Also habe ich das erst einmal gemacht, wollte dann aber doch gerne, wie zu Schulzeiten geträumt, Grafikdesign studieren, habe irgendwann meinen Mut zusammengenommen, den Job gekündigt, meine Kunstmappe erstellt und fing an, an der FH in Düsseldorf zu studieren. Nach dem Diplom als Kommunikationsdesignerin war ich zunächst als Freiberuflerin im Zusammenhang der Kulturhauptstadt RUHR.2010 tätig, habe den Europäischen Filmpreis und viele der Großveranstaltungen mit organisiert und wurde quasi ins kalte Wasser geschmissen.
„Manchmal muss man den Weg einfach im Vertrauen gehen und auf das Bauchgefühl hören.”
So hat sich alles entwickelt und ich bin von einem Projekt zum anderen immer weiterempfohlen worden, was mich sehr gefreut hat. Irgendwann war ich dann im Team der Loveparade, die ja leider bekanntlich im Jahr 2010 in Duisburg tragisch verlaufen ist, aber in dem ich auch nach der Loveparade-Katastrophe noch geblieben bin. So lernte ich auch Rainer Schaller kennen. Mein Bauchgefühl hat mir damals gesagt, dass ich einfach bleiben muss, und dadurch, dass ich etwas anderes dafür abgesagt habe und geblieben bin, ist wieder eine Tür aufgegangen und ein ganz anderer Weg entstanden. Manchmal muss man den Weg einfach im Vertrauen gehen und auf das Bauchgefühl hören. Kurz nach der Katastrophe ist es im Produktionsbüro in Duisburg sehr unruhig gewesen. Es gab unzählige Presseanfragen und wir mussten mit Anwälten und der Versicherung sprechen. Rainer Schaller war es wichtig, sich mit der Notfallseelsorge zu unterhalten und mit den Menschen in den Austausch zu gehen, die betroffen waren – sich mit den Eltern, Hinterbliebenen oder eben auch den Verletzten zu treffen. Ich glaube durch das Vertrauen, was andere, wie in diesem Fall Rainer, in mich gesetzt haben und mich haben machen lassen, habe ich letztendlich immer mehr Sicherheit erlangt und mein Wissen kontinuierlich aufbauen können – auch durchs Fehler machen. Ungeplant ging ich dann nach Berlin und blieb bei der RSG Group. In den kommenden Jahren haben wir dort viel gemeinsam umgesetzt von Fröhlichen bis hin zu Krisenthemen. Irgendwann kam Corona, und im Jahr 2022 starb Rainer Schaller mit seiner Familie, seinem Assistenten und dem Piloten bei einem Flugzeugabsturz in Costa Rica. Nach einem weiteren Jahr wusste ich, es wird Zeit für mich, weiterzuziehen. So kam ich dann zu KIESER. Auch das war wieder eine Tür, in diesem Fall ein Mensch, in Form meines neuen Chefs, die im richtigen Moment einfach für mich offenstand.
2010 bist du bei der RSG Group im Bereich Brand und New Business Development gestartet. Als Global Director Communications hast du in dieser Zeit auch eng mit deinem Chef und Mentor Rainer Schaller zusammengearbeitet. Was war denn so dein größtes Learning in der Zeit, aber auch generell bisher?
Learnings gab es eine ganze Menge. Wir sind schnell gewachsen und haben versucht, 360 Grad um den Kunden herum Marken aufzubauen, die mehr als nur das reine Training beinhalten. Das waren alles Marken, die in irgendeiner Form auch von der Erzählstruktur Sinn gemacht haben. Es gab zuerst die eine Fitnessstudio-Kette, dann unterschiedliche Ketten, eine App, in der man seine Trainingspläne und Ernährungspläne hatte, dazu ein Magazin, was am Kiosk erhältlich war, sowie Nahrungsergänzungsmittel, die einen beim Erreichen seiner Ziele unterstützt haben, und eine Modelagentur, die schließlich den Erfolg sichtbar gemacht hat. Mit der Zeit entstanden so rund 24 visionäre Tochterfirmen. Rainer hatte irgendwann die Idee, das größte Fitnessstudio der Welt aufzubauen, das keinen Mitgliedsbeitrag kostet. Wenn du mich daher jetzt fragst, was das eine oder größte Learning in dieser Zeit war, dann ist das schwer zu sagen, aber es war mit Sicherheit schnell zu sein und auch immer schnell agieren zu können, je nachdem, welche Ideen gerade auf den Tisch kamen. Kein Tag glich dem anderen.
„Es waren rückblickend eher unterschwellige Dinge, die er mir vermittelt hat, wie an sich zu glauben, groß zu denken auch mal gegen den Strom zu schwimmen – eben nicht immer nur alles gleich zu machen.”
Wenn du sagst, dass Rainer Schaller so etwas wie ein Mentor für dich war, gab es da irgendwas Besonderes, wo du jetzt zurückschaust, was er dir immer wieder gesagt hat? Etwas Bestimmtes, was du von ihm mitnimmst oder mitgenommen hast?
Es gibt so viele Situationen und Momente, in denen ich heute merke, dass mir das im Alltag total hilft. Damals habe ich gar nicht unbedingt gemerkt, dass er mir als Mentor jetzt explizit etwas weitergibt. Es waren rückblickend eher unterschwellige Dinge, die er mir vermittelt hat, wie an sich zu glauben, groß zu denken auch mal gegen den Strom zu schwimmen — eben nicht immer nur alles wie alle anderen zu machen. Er war für meinen Bereich PR gesprochen ganz klar jemand, der sich der Macht der Bilder und der Macht der Geschichten bewusst war. Man muss schon wissen, was man gerne erzählen möchte und wie man es sichtbar ‑und damit noch- attraktiver macht. Rainer war aber auch einfach ein Menschenmensch. Er hat sich ehrlich für Leute interessiert und stand in der Kaffeeschlange an, wie alle anderen auch. Wenn ich so darüber nachdenke, ist er für mich der meistunterschätzte Mensch gewesen, den ich je kannte. Natürlich hat er bei McFit durch die Zielgruppe polarisiert, das ist schon klar, aber er hat für die gesamte Fitnessbranche einfach unheimlich viel gemacht. Durch sein Discount-Konzept hat er vielen Leuten überhaupt erst die Möglichkeiten geboten, Zugang zu Fitness zu erhalten und dieses Thema auch ein bisschen salonfähiger gemacht. Für mich war beeindruckend, dass er mit absolut jedem immer auf Augenhöhe war. Das hat er sich immer beibehalten, was aus meiner Sicht ein richtig großer Schatz ist. Und zu lachen. In den über 13 Jahren, und wie in jedem Unternehmen, hatten wir natürlich einige Krisen, durch die wir gegangen sind. Es ist aber auch in den schwierigsten Momenten immer wieder zwischendurch etwas Lustiges passiert, wo man alles andere um sich herum vergessen hat – das hat allen dann wieder Energie gegeben, sich darauf einzulassen und gemeinsam zu lachen.
„Es ist wichtig, das Herzensanliegen dahinter zu erkennen, und nicht nur den monetären Gedanken im Kopf zu haben.”
In den über 13 Jahren deiner Tätigkeit wuchs dann der Konzern auf mehr als 25 Marken und expandierte europaweit und ab 2016 sogar in die USA. Was war denn das Geheimnis des Erfolgs?
Um den Bogen zu heute zu schlagen: ich habe Werner Kieser leider selbst nie kennengelernt. Er ist 2021 gestorben. Aber was ich über ihn lese und höre, ist er auch ein sehr charaktervoller Mann gewesen. Ich glaube, diese beiden Visionäre: Rainer und Werner haben dadurch jeweils eine Marke aufgebaut – der eine McFIT, der andere KIESER, die jede eine glasklare Positionierung hat und eine eindeutige Zielgruppe anspricht. Sie haben beide an ihre jeweilige Vision geglaubt und diese auf völlig unterschiedliche Art und Weise, aber absolut konsequent verfolgt. Ich glaube das Erfolgsrezept war und ist vor allem, auf der einen Seite standhaft zu sein und seine Idee zu verfolgen – bis hin zu verteidigen – und auf der anderen Seite zu schauen, was es an Modifizierungen braucht, um mit der Zeit zu gehen. Trends zu setzen ist sicher schwieriger, als Trends zu folgen. Wenn ich an Rainer zurückdenke, war es bei ihm vor allem auch das Menschliche gewesen – das Team, was ihm wichtig war und auf das er gebaut hat. Da war er sicher sehr weit vorne, was das Thema Kultur betrifft. Ihm war es bei seinen Ideen immer wichtig, sein Herzensanliegen voranzutreiben und nicht nur den reinen monetären Gedanken im Kopf zu haben. Natürlich mussten seine Teams dazu passen und auch das Fachliche stimmen, aber es musste auch immer klar sein, dass der Mensch ins Team passt und, dass man ihn jeden Tag um sich herumhaben möchte. Das stand deutlich im Vordergrund und ist sicherlich ein weiteres Learning, was ich jetzt auch bei KIESER im Bereich HR mit einbringen kann – allerdings kann ich nach fast einem Jahr bei KIESER sagen, dass das hier auch absolut der Fall ist, dass großartige und passende Teams sehr engagiert zusammenarbeiten.
Als eines der ersten Unternehmen in Europa erkannte KIESER die gesundheitsfördernde Qualität von Krafttraining und setzte dabei konsequent auch auf eigens konzipierte Maschinen. Wie haben sich denn Anspruch und Fokus verändert mit der Zeit, wenn du jetzt mal auf die Zielgruppe guckst sowie auf den gesamten Prozess der letzten Jahre?
Das ist eine sehr spannende Frage, weil KIESER in meinen Augen über die Jahre sehr konstant geblieben ist. Von der Idee, die Werner Kieser damals hatte, ist heute im Grunde noch alles da. Die Maschinen werden vor dem Gesundheits- sowie sehr hohen Sicherheitsaspekt immer auf neue Technologien angepasst. Das Konzept von KIESER ist, dass man langsame Bewegungen macht und dadurch eine kontinuierliche Reizung des Muskels hat – bis hin zur totalen muskulären Erschöpfung nach nur 2 Minuten auf jedem Gerät. Darauf sind die Maschinen bei uns ausgerichtet — andere Anbieter machen das nicht zwangsläufig und andere Studios verfolgen auch andere Konzepte als unseren HITT-Ansatz. Bei uns stehen die Effektivität der Kundinnen und Kunden und die korrekte Übungsausführung im Vordergrund, was sehr begleitungsintensiv ist und weshalb das Personal auch speziell ausgebildet sein muss. Wenn man z.B.: nach einer schweren Operation zum Krafttraining geht, hat man mitunter ja auch Angst, etwas falsch zu machen. Auch damit muss man umgehen können und da sind wir ebenfalls wieder beim Menschlichen. KIESER ist sehr spitz gesundheitsorientiert positioniert und ich habe sehr viel Respekt vor dieser Positionierung. Wir haben ganz klares, ruhiges Bauhaus-Design und keine Ablenkung, denn bei uns laufen keine Musik und keine Fernseher. Unsere Zielgruppe ist 50Plus und respektiert das uneingeschränkt, wobei ich mich schon auch manchmal aus eigener Erfahrung beim Training bei uns Frage, warum es nicht auch jüngere Leute schon für sich entdecken.
Eure Botschaft ist “immer ein Stück stärker” und das umschreibt gleichzeitig auch euer Konzept. Kurz und knapp sagt ihr auch, das macht diese Marke so bestechend einzigartig und greifbar. Was braucht es denn in der aktuellen Zeit vor allem?
Ich glaube es braucht in der heutigen Zeit auch weiterhin tatsächlich viel Aufklärung. Es ist noch nicht so wahnsinnig lange her, dass der Begriff “Longevity” (dt.: Langlebigkeit) immer mehr auch nach Deutschland rüber geschwappt ist, und wenn man sich anguckt, wie Werner Kieser diese Marke aufgebaut hat, dann ist das von Grund auf eigentlich schon genau das gewesen: Jetzt vorsorgen und gucken, dass man im Alter die Muskeln hat, die einen durchs Leben tragen. Weil wir alle selbstbestimmt und agil bleiben wollen, um weiterhin auch am Leben teilzunehmen. Ich finde es interessant, dass wir alle wissen, dass Zucker oder Rauchen schlecht sind, und doch ist es gesellschaftsfähig. Die Leute machen es einfach. Und dann wiederum weiß jeder, dass Prävention gut ist, und doch machen es zu wenige. Das ist sehr spannend zu erkennen, wie man diese Diskrepanz angehen kann. Bei KIESER sieht man sehr schnell die Erfolge. Wenn man Schmerzen hat, merkt man durch dieses maximale Krafttraining nach nur wenigen Trainingseinheiten, dass das der richtige Weg ist und hilft. KIESER hat jetzt außerdem zwei Felder als Erweiterung – oder Vertiefung – seines Konzeptes ausgewählt, eins davon ist die Physiotherapie. In Australien haben wir fast dreißig Studios, die mit Physiotherapie und Krafttraining ausgestattet sind. Da kann man jetzt, wo wir in der Schweiz und in Deutschland auch erste Studios haben, in denen eine KIESER Physiotherapie-Praxis integriert ist, auch viel voneinander lernen und sich austauschen. Das andere Feld ist das ganze Thema Ernährung, was wir bei uns als Nährstoffberatung umsetzen. Wir möchten unseren Kundinnen und Kunden nicht irgendwelche Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel nahelegen, sondern viel mehr das Verständnis dafür wecken, dass sie erkennen, was sie essen und auch trinken. Mit dieser Basis können wir ihnen das Wissen vermitteln, wie ihre Ernährung sein muss, damit sie zu ihren Zielen (Muskeln aufzubauen, Fett abzubauen, die Gesundheit zu fördern oder auch die Leistung zu steigern) passt – gerade rund um das Training herum. Aber wenn du mich fragst, was es vor allem in der heutigen Zeit braucht, dann ist es meiner Meinung nach wirklich: anzufangen, sich um seinen Körper wie schon beim Zähneputzen zu kümmern, und unsere Aufgabe dabei ist, weiterhin nachhaltig aufzuklären.
Bild: © Holger Talinski
Wie schaust du auf die Herausforderung als Frau in Führungsverantwortung? Was muss sich in deinen Augen auf jeden Fall ändern und vor allem verbessern?
Auch das ist eine sehr gute Frage. Wenn ich jetzt auf die ganze Zeit in der RSG Group zurückschaue, ist das von der Grundausrichtung schon eher ein “Testosteron-lastiges Unternehmen” gewesen — aus der Natur der Sache heraus. Trotzdem hatten wir damals auch schon viele weibliche Führungskräfte, wenn man in die Studios und auch in die Büros geguckt hat. Wie das dort heute ist, weiß ich nicht. Zu meiner Zeit war es tatsächlich auch gar nicht die Frage, dass eine Frauenquote in irgendeiner Form eine Rolle gespielt hat, denn es waren ja viele da. Es ging wirklich um die Menschen, die sich beworben haben – ganz unabhängig vom Geschlecht. In meiner gesamten beruflichen Laufbahn habe ich verrückterweise bisher nie das Gefühl gehabt, dass es ein Problem oder ein Vorteil gewesen wäre, dass ich eine Frau bin. Heute in der Geschäftsleitung bei KIESER sind wir z.B. 50/50 Männer und Frauen, aber auch ganz natürlich “halb halb“ ohne Quote. Ich denke, ohne für meine Kollegen und Kolleginnen mitsprechen zu wollen, dass es bei uns alle als vollkommen selbstverständlich ansehen, dass jeder seine Fähigkeiten einbringen kann und seine Rolle hat, und das ganz unabhängig von einer Zahl oder Quote. Auf der anderen Seite war ich kürzlich auf einer Konferenz, wo ich moderieren durfte, und es schien schon ein kleiner Aspekt gewesen zu sein, dass ich eine Frau bin, dass ich gefragt wurde. Gleichzeitig habe ich mich dann aber auch gefragt, warum mich das jetzt kratzt?! Ich werde einfach beweisen, dass ich das gut mache und dass ich das gut kann und diese Chance nutzen, was ich auch getan habe und mich am Ende sehr gefreut habe.
‚,Von meinem Naturell her bin ich nie karriereorientiert gewesen, habe nun aber auch keine Kinder. Sicher hätte mein Weg sonst ganz anders ausgesehen.”
Wenn du jetzt mal nicht den Sportbereich ausschließlich nimmst, sondern es allgemein betrachtest: Wie sieht das in Deutschland mit der Frauenquote in Wirtschaft und Politik aus? Was ist deine persönliche Meinung dazu?
Hier bin ich schon der Meinung, dass es schade ist, dass es dafür überhaupt eine Quote braucht. Grundsätzlich sehe ich überall und auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, dass sich das Rollenverständnisses ändert, was Frauen mehr Möglichkeiten gibt, sich neben der Familie auch beruflich zu engagieren und Karriere zu machen. Es gibt immer mehr Männer, die Elternzeiten nehmen und sich die Erziehung teilen, womit sie ihren Partnerinnen im Punkt Karriere auf Augenhöhe begegnen und den Rücken stärken. Diese Entwicklung finde ich großartig und wichtig, weil sie zu einem Selbstverständnis beiträgt, dass Frauen genauso eine Rolle in Wirtschaft und Politik spielen, wie Männer. Von meinem Naturell her bin ich nie karriereorientiert gewesen, habe nun aber auch keine Kinder. Sicher hätte mein Weg sonst ganz anders ausgesehen. Ich kann mir daher schon vorstellen, dass es für viele Frauen schwierig ist, allen Rollen gerecht zu werden. Da darf in Deutschland generell noch eine ganze Menge passieren, um das zu unterstützen.
Wenn du jetzt mal Deutschland vor dem Hintergrund der eben angesprochenen Punkte mit anderen Ländern vergleichst, wie stufst du das ein? Mit welchen Gedanken und Gefühlen ist das für dich verbunden?
Also da sind wir in Deutschland meiner Meinung nach einerseits noch am Anfang, aber andererseits auch auf einem guten Weg. Wenn du dir Frankreich anguckst, können Mütter nach ein paar Wochen schon wieder arbeiten gehen, wenn sie das wollen. Da gibt es jede Menge Möglichkeiten, Kinder in irgendeiner Form in eine gute Betreuung zu geben. In Amerika sind Mütter auch schnell nach der Geburt wieder zurück am Arbeitsplatz, allerdings ist jede Form der Betreuung sehr teuer und muss meist selbst organisiert werden, gerade wenn die Kinder noch ganz jung sind. Der Druck, schnell zurück am Arbeitsplatz zu sein, ist dort aber auch ein ganz anderer mit der „hire and fire“ Mentalität. Was ich in Deutschland schön finde, ist, dass man die Möglichkeit hat, sich erst einmal rauszuziehen und dass man in Elternzeit zu Hause bleiben kann, wenn man will – und der Arbeitsplatz danach eben auch noch da ist! Das Thema hat ja aber wie bei vielem immer mehrere Gesichtspunkte. Ich finde es “zu können, wenn man möchte, aber nicht zu müssen” wichtig und gut.
Du hast kürzlich auf dem Fachkongress für aktive Gesundheit oder Gesundheitsgestalter einen Vortrag gehalten. Da hast du über Branche im Umbruch, Trends und Geschäftsmodelle der nächsten Generation gesprochen. Welchen Einfluss haben Technologien inklusive KIs und bestimmte Trends sowie die gesellschaftliche Entwicklung? Was hast du da erzählt?
Die Teilnehmenden auf dem Podium stammten alle aus unterschiedlichen Bereichen und Studiokonzepten, was einen sehr lebhaften Austausch ermöglicht hat. Bei KIESER ist es so, dass eine KI den Menschen nicht ersetzen werden kann und wird – gerade was das Erlebnis im Studio betrifft, Es wird viele Systeme im Hintergrund mit Sicherheit vereinfachen können, was die administrative Kundenbetreuung, Kundenansprache, Datenpflege etc. angeht, aber es ist jetzt nicht so, als müsste sich jemand auf der Fläche Sorgen machen, dass dadurch vielleicht eine Stelle wegfällt. Im Studio kann sich viel mehr jeder freuen, mehr Zeit für die wichtigen Dinge im 1:1 mit den Kundinnen und Kunden zu haben. Spannend wird der Teil sein, die Trainingseffektivität durch KI zu verbessern und durchgängig nachzuverfolgen, wie man über die gesamte Bewegungsausführung trainiert hat. So kann man mit den Mitgliedern noch einmal genauer in den Austausch und an eventuelle Korrekturen gehen – immer beachtend, was ihre individuellen Ziele sind. Die menschliche Begleitung ist einfach ein Faktor, der uns extrem wichtig ist und stark differenziert und diese ist für uns durch KI nicht ersetzbar. Was ich z.B. bei KIESER ganz besonders schön finde, ist, dass wir nicht darauf ausgelegt sind, Karteileichen zu sammeln. Wir möchten nicht, dass Mitglieder einfach ihre Beiträge bezahlen und nicht kommen – dass passt nicht zu unserer Philosophie, denn wir wollen, dass es ihnen gut – oder schlichtweg besser geht, durch regelmäßiges Krafttraining. Daher rufen wir sie an, wenn wir feststellen, dass, sie länger nicht zum Training gekommen sind und terminieren ihre nächsten Besuche bei uns. Hinsichtlich der vorhin angesprochenen “Langlebigkeit” als gesellschaftliche Entwicklung sehe ich den Part „Bewusstsein schaffen für die Wichtigkeit von Krafttraining“ als eine unserer großen Aufgaben und in dem Zusammenhang zu zeigen, was wir tun und was wir in der Branche anders machen.
„Ich bin ein “Menschenmensch”. Ich freue mich immer, mit den Leuten zusammen zu arbeiten, die mich umgeben.”
Was schätzt und liebst du dann am meisten an deinem Job? Was macht dir am meisten Freude, wenn du morgens aufstehst?
Ich bin ein “Menschenmensch”. Das zeigt sich darinnen, dass ich mich immer freue, mit den Leuten zu arbeiten, die mich umgeben. Ich könnte in keinem Unternehmen arbeiten, wo ich das Gefühl hätte, da sind Ellenbogen und ich Bauchschmerzen bekomme. Das würde bei mir nicht funktionieren und das schätze ich an meiner Tätigkeit und meinem direkten Umfeld auch so sehr. Im Fachlichen ist es mir ein inneres Anliegen, dieses vorhin schon genannte Bewusstsein für die Notwendigkeit von Krafttraining zu schaffen, aber auch zu zeigen, wofür Krafttraining sonst noch alles gut sein kann, wie z.B. bei Diabetes, Osteoporose etc. Das betrifft dann klar meine eine Zuständigkeit, den Pressebereich. Im Bereich HR habe ich mich unter anderem auf das Thema Kultur fokussiert und prüfe gerade, wie man das Recruiting verbessern kann. Ich verfolge den Ansatz, dass Führungskräfte ihrer Mitarbeitenden unterstützen, sie stärken und sie dazu beitragen, dass sie gerne in diesem Unternehmen arbeiten und ihnen ihre Aufgaben Spaß machen. Wir haben viele, tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch schon jahrelang da sind. Ich glaube, dass da unfassbar viel Potenzial ist und es aber auch viel zu tun gibt, um das Unternehmen weiterhin stark und zukunftsfähig aufzustellen. Das macht mir sehr viel Freude.
Was denkst du, wie der Sportmarkt in Zukunft aussieht? Was wünschst du dir hier, wie sich das entwickeln kann, soll, darf?
Streng genommen fühlen wir uns dem Sportmarkt nicht zugehörig und bedienen eher eine Nische, indem wir in der Fitness-Branche gesundheitsorientiert aufgestellt sind. Das ist, wenn man die Angebote vergleicht, in der Tat eine sehr andere Ausrichtung, die wir bewusst gewählt haben und wählen. Wenn ich jetzt aber aus einer Vogelperspektive zurückschaue, so glaube ich, dass sich der Fitnessmarkt weg von diesem Bild der Bodybuilder mehr hin zu einem Lifestyle entwickelt hat, der mittlerweile zu einem Leben mit dazu gehört. Fit zu sein ist ja auch etwas, was nicht nur durch Social Media und Influencer in den Vordergrund rückt, sondern auch allgemein und durch Longevity zeigt, dass Fitness ein fester Bestandteil des Alltags ist. Diese Entwicklung wird meiner Meinung nach weitergehen und die Gesundheit dabei eine immer zentralere Rolle spielen neben dem Aussehen. Corona hat zwar gezeigt, dass es gut ist, Heimangebote zu haben, aber die wenigsten Leute haben zu Hause den Platz, um sich ein komplettes Fitnessstudio aufzubauen. Daher bin ich davon überzeugt, dass dieses Konzept, in Studios zu gehen, weiter bestehen bleiben wird. Wir adressieren uns klar an eine Zielgruppe 50Plus und aktuell ist es das erste Mal der Fall, dass in Deutschland – und auch in Europa — mehr ältere, als jüngere Menschen leben. Deshalb passt unsere Markenausrichtung: „Kraft fürs Leben“ jetzt wahrscheinlich mehr, denn je.