International tätige Tierschutzorganisationen wie die Welttierschutzgesellschaft (WTG) in Berlin sahen sich in den vergangenen Jahren mit einer besonderen Häufung an Krisen konfrontiert, die die Tierschutzarbeit sehr betroffen haben. Während es im Zuge der Corona-Pandemie galt, den Tierschutz in Schwellen- und Entwicklungsländern am Leben zu halten, engagiert sich der gemeinnützige Verein außerdem dafür, dass bei der Bewältigung von großen Krisen „vor der Haustür“ auch die Tiere die notwendige Zuwendung und Fürsorge erhalten.
Seit wann gibt es Sie und welche Themenschwerpunkte hat die Gesellschaft? Wo liegt der Fokus Ihrer Arbeit und was konnte bisher schon alles erreicht werden?
Die Welttierschutzgesellschaft (WTG) wurde 1998 als gemeinnütziger Verein in Bonn gegründet, hat ihren Sitz aber seit 2012 in Berlin. Im Fokus unserer Tierschutzarbeit stehen Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen es kaum Maßnahmen zum Schutz von Tieren gibt. So geraten täglich unzählige Tiere in die Fänge von Wilderern, Streuner werden misshandelt und Nutztiere schlecht versorgt. In vielen unserer Einsatzländer mangelt es an einer tiermedizinischen Grundversorgung. Es gibt zwar Schutzbestimmungen, die das Wohl der Tiere sichern sollen, doch die sind oft unwirksam. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen sorgen wir im Rahmen unserer Tierschutzprojekte unter anderem in Wildtierschutzzentren, mit mobilen Tierkliniken und durch Kastrationskampagnen dafür, dass sich das Leben von Streuner‑, Nutz- und Wildtieren nachhaltig bessert. Durch Tierschutzbildung stärken wir gleichzeitig das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Tiere in der Bevölkerung.
Da wir uns in einer Vielzahl von Projekten engagieren – aktuell sind es 18 auf vier Kontinenten – ist unser Spektrum an kleinen und großen Tierschutzerfolgen recht breit. Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass wir im Verlauf der Coronakrise die Fortführung von Tierschutzmaßnahmen weltweit ermöglicht haben, indem wir unseren Partnern dabei halfen, diese schwierigen Zeiten auch finanziell zu überbrücken. Wenn wir auf konkrete Tierschutzerfolge der vergangenen Jahre blicken, sind dabei unser Mitwirken an der Schließung von Esel-Schlachthäusern in Kenia und Tansania, die Rettung weiterer notleidender „Galle-Bären“ in Vietnam sowie eine sehr umfassende Tollwut-Impfkampagne in Malawi zu nennen.
Sie sagen: „Tierschutz fängt beim Menschen an!“ Wie kann das Ihrer Meinung nach genau beginnen und welche Tierschutzgedanken bzw. welche Grundsätze liegen Ihrer Arbeit außerdem zugrunde?
Grundlage unseres Tierschutzgedankens sind die international anerkannten „Fünf Freiheiten“, für die wir uns in unseren Projekten für Streuner‑, Nutz- und Wildtiere einsetzen. Diese lauten:
- Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung
- Freiheit von Unbehagen
- Freiheit von Angst und Leiden
- Freiheit von Schmerz, Verletzung und Krankheit
- Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens
Um diese Freiheiten für die Tiere zu erreichen, ist Bildungsarbeit eine entscheidende Komponente, denn sie zielt auf eine grundsätzliche Änderung in der Einstellung zu Tieren ab: Um Tieren langfristig helfen zu können, müssen Menschen lernen, dass unsere Mitgeschöpfe leidende und fühlende Wesen sind. Deshalb verbinden wir aktiven Tierschutz vor Ort mit Informations- und Bildungsmaßnahmen, zum Beispiel in Vietnam. Die Wilderei ist ein großes Problem im Land, gegen das wir zum einen akut vorgehen, indem wir Schutzzentren für Wildtiere, die aus dem illegalen Handel gerettet wurden, unterstützen. Zum anderen fördern wir auch die Bildungsarbeit für alle Altersgruppen. Besonders am Herzen liegt uns ein Kinder- und Jugendbildungsprogramm, das Schulklassen in den Nationalpark bringt und sie dort den Wert und die Faszination von Natur und Tierwelt hautnah erleben lässt. Wir wollen somit eine neue Generation für den Tierschutz gewinnen und dazu beitragen, dass die Ausbeutung der wildlebenden Tiere in Vietnam ein Ende findet.
Schritt für Schritt erzielen wir so eine Wirkung und verändern die Einstellung der Menschen gegenüber den Tieren zum Positiven. Entscheidend für den Erfolg der Bildungsmaßnahmen ist es, langfristig zu denken. Ein einzelner Bildungseinsatz wird keine bleibenden Veränderungen bewirken, jahrelange Arbeit und viele Gespräche mit den Menschen vor Ort aber schon viel eher. Ein gutes Beispiel dafür ist unser fast zehnjähriger Einsatz in der südafrikanischen Township Onverwacht. Hier zeigte sich eine grundlegende Verbesserung im Verhältnis zu den Tieren erst, als ein Verständnis für unsere Arbeit und ein tiefes Vertrauen zu unseren Projektpartnern einsetzen. Inzwischen konnten wir erreichen, dass tierschutzwidrige Praktiken – beispielsweise Hunde dauerhaft an Ketten zu halten – deutlich zurückgegangen sind, was klar auf den Bewusstseinswandel der Menschen zurückgeht.
Die Lage u.a. in der Ukraine bedeutet noch immer auch viel Schmerz, Trauma und Leid für viele Tiere. Sowohl Haustiere als auch freilebende oder die in der Landwirtschaft. Wie wird da vor Ort geholfen? Was wird außer Sachspenden, Unterkünften oder Friedensdemonstrationen noch dringend gebraucht und wohin kann man spenden, wie helfen?
Wir als Welttierschutzgesellschaft haben es uns zur Aufgabe gemacht, Menschen und Tieren, die gemeinsam aus der Ukraine geflohen sind, den Weg in die Sicherheit zu ebnen. Im Zuge des Krieges haben die Nachbarländer der Ukraine Millionen Menschen und tausende Tiere mit offenen Armen empfangen. Danach galt es, diese nach ihrer oftmals traumatischen Fluchterfahrung bestmöglich zu unterstützen. Da die Ukraine nicht als tollwutfrei gilt, sind nach dem Grenzübertritt gewisse Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, darunter eine vorübergehende Isolation ungeimpfter Tiere und die Ausstellung eines Heimtierausweises für die Europäische Union. Zu diesem Zweck finanzierten wir sowohl in Polen als auch Rumänien die Vergabe von Impfungen und weiteren tiermedizinischen Behandlungen, die für die Einhaltung der per Einreisebestimmung angeordneten Gesundheitsmaßnahmen nötig sind. Außerdem unterstützten wir bei der Anschaffung von Transportboxen, dem Kauf von Futtermitteln und anderen Bedarfsmittel zur Versorgung der Tiere sowie der Bereitstellung von Quarantäneplätzen für isolationspflichtige Tiere nach ihrer Tollwutimpfung. Diese Hilfsmaßnahmen sind nur durch Spenden möglich.
Wer als Privatperson mit Sachspenden wie Tierfutter helfen möchte, sollte beachten: Bitte erst informieren und dann tätig werden. Zuerst gilt es, das lokale Tierheim oder den Tierschutzverein zu kontaktieren, wo und wer Bedarf für Sachspenden hat. Darüber hinaus sind Hilfsorganisationen innerhalb vieler größerer Städte aktiv, die eine Anlaufstelle bieten können. Sehr umfangreiche Hinweise, wie und an welchen Stellen Menschen und Tieren geholfen haben, gibt es auch auf unserer Website unter: www.welttierschutz.org.
Foto: © Christoph Köstlin
Wie funktioniert die Flucht allgemein mit Tieren? Wie ist die Situation an Grenzregionen und wie wird eine Einreise beispielsweise in die EU möglich gemacht?
Wir haben beobachtet, dass viele Menschen alles in Bewegung gesetzt haben, um ihre Tiere mit in Sicherheit zu bringen. Das bedeutet auch, dass sie die erschöpften Tiere zur Not kilometerweit zu Fuß bis an die Grenze getragen haben, wo es dann Möglichkeiten zur Weiterreise mit Bus oder Bahn gab. Die Tiere bieten Menschen, die zu Hause oftmals alles verloren haben, einen wichtigen Halt in diesen katastrophalen Zeiten. Für die Tiere ist es natürlich trotz der anstrengenden Flucht ebenfalls die weitaus bessere Option, bei ihren Halterinnen und Haltern zu bleiben anstatt möglicherweise zurückgelassen zu werden und ein Leben als Streuner oder im Tierheim fristen zu müssen. Weil es so wichtig für ihr eigenes Wohl und das ihrer Halterinnen und Halter ist, haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Tiere auch auf den weiteren Stationen der Flucht, zum Beispiel in Aufnahmezentren, an der Seite oder zumindest in der Nähe ihrer Halterinnen und Halter bleiben konnten.
Wie wird in Ihrer Arbeit mit Nachbarländern kooperiert, wie zum Beispiel mit der Viva in Warschau? Wie können wir uns das vorstellen?
Als Welttierschutzgesellschaft fokussieren wir unsere Arbeit auf Schwellen- und Entwicklungsländer. Daher zählen die Nachbarländer Deutschlands, die zumeist in die Kategorie der „entwickelten Staaten“ fallen, in der Regel nicht zu unseren Projektregionen. Mit dem Ausgangspunkt der noch gegebenen Krisensituation in der Ukraine und der großen Not, die uns in Berlin zu Beginn zeitweise wegen der hohen Zahl ankommender Geflüchteter besonders getroffen hat, war es für uns aber selbstverständlich, dass wir nach Möglichkeiten gesucht haben, um ebenfalls zu helfen. Wir sind nach intensiver Recherche auch auf Organisationen zugegangen, die in an die Ukraine grenzenden EU-Staaten tätig waren und sind, um unsere Unterstützung in diesen schwierigen Zeiten anzubieten. Die Zusammenarbeit war aufgrund der besonderen Situation auch gänzlich anders als bei unseren regulären Tierschutzprojekten. Diese sind von einem langfristigen Ansatz, genauer Projektplanung und auch einer engen Begleitung durch unser Monitoring- und Evaluationsteam gekennzeichnet. Dies war in der akuten Lage aber nicht möglich, so dass wir unsere Hilfsmaßnahmen ganz an den Notwendigkeiten beispielsweise für die tiermedizinische Versorgung ausgerichtet haben, die uns Partner wie die Viva Foundation in Polen gemeldet haben – natürlich aber mit ebenso professionellem Blick auf die Verwendung der Mittel wie bei allen anderen Tierschutzprojekten der WTG.
Unsere Kollegin Wiebke Plasse begleitete die Arbeit von Viva zur Hilfe von Geflüchteten und ihren Tieren kürzlich in Polen und war tief berührt, mit welchem Engagement und welcher Leidenschaften dort geholfen wurde. Auch auf dieser Basis haben wir unsere Zusammenarbeit noch einmal ausgeweitet. Ihr Tierschutzbericht dazu steht ebenfalls auf unserer Website bereit.
Was für öffentlichkeitswirksame und politische Tierschutzkampagnen gibt es außerdem? Was hat die Welttierschutzgesellschaft für eine Vision für die Welt?
Unsere Vision ist eine Welt, in der Tiere von den Menschen wahrgenommen und respektvoll und tiergerecht behandelt werden. Dieses Ziel spiegelt sich beispielsweise auch ganz stark in einer unserer Tierschutzkampagnen „Stoppt Tierleid in den sozialen Netzwerken“ wider. Auch in den Netzwerken ist es dringend nötig, für ein respektvolles Miteinander von Tier und Mensch zu werben. Die sozialen Netzwerke werden dieser Verantwortung aus unserer Sicht aber nicht ausreichend gerecht. Tagtäglich werden neue Beiträge eingestellt, die Tierleid in ganz verschiedenen Formen zeigen: Von unmittelbarer Gewalt gegen Tiere über die unkritische Darstellung von Qualzuchten bis hin zur Zuschaustellung von Wildtieren in Privathaushalten. Wir wollen bewirken, dass solche Tierleid-Darstellungen, die keinen dokumentarischen oder informativen Zweck erfüllen, in den sozialen Netzwerken gestoppt werden. Dafür fordern wir die Betreiber mit einer Petition auf, ihre Gemeinschaftsstandards umfassend um die Thematik Tierleid zu ergänzen. Gleichzeitig machen wir uns dafür stark, dass eine gesetzliche Grundlage in Deutschland geschaffen wird, die das Verbot zur Darstellung von Tierleid regelt und so die sozialen Netzwerke zum Handeln verpflichtet. Dieses Anliegen richten wir an die Bundesregierung und Mitglieder des Bundestages: Zusammen haben diese beiden Petitionen schon mehr als 150.000 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen gefunden, mit jeder weiteren Unterschrift können wir den Druck auf Politik und Netzwerke erhöhen. Durch Informationsarbeit wollen wir außerdem die Nutzerinnen und Nutzer beim Erkennen von Tierleid-Formen und zu einem verantwortungsvollen Umgang anleiten. Dafür stellen wir umfangreiches Material als Hilfestellung bei der Erkennung und dem Melden bereit.
Wie sorgen die Helferinnen und Helfer der WTG für sich und verarbeiten die mitunter sicherlich vorhandene Hilflosigkeit und Ohnmacht bei dem, was sie sehen und erleben? Was sind Ihre Erfahrungen?
Die Geschichten von Flucht, Trennung und Schmerz, die unsere Partner und wir hören und erleben, sind emotional sehr herausfordernd. Eine ehrenamtliche Helferin unserer polnischen Partnerorganisation Viva berichtete uns auf die Frage, wie sie die bedrückenden Schicksale von Geflüchteten und ihren Tieren verarbeite, dass sie einfach niemals stillstehe. Denn sonst würde sie Zeit finden, um wahrzunehmen, was in der Ukraine gerade geschehe. Eine solche Bewältigungsstrategie ist kurzfristig sicher möglich, aber lässt sich vermutlich auf Dauer nicht beibehalten, ohne dass die Arbeit Spuren hinterlässt. Da kommt es darauf an, viel über die Situation zu reden und sich selbst auch einmal eine Art Nachrichtensperre zu verordnen, um neue Kraft tanken zu können. Unseren Partnerorganisationen haben wir mit dem WTG-Nothilfefonds nicht nur in der aktuellen Krise, sondern zuletzt auch während der Corona-Pandemie eine schwere Last von den Schultern nehmen können, indem wir ihnen finanziellen Spielraum für ihre Hilfsmaßnahmen geboten haben.
Grundsätzlich hilft es uns auch als Mitarbeitende der Welttierschutzgesellschaft, in Berlin selbst mit anzupacken und die Situation für Menschen und Tiere etwas erträglicher zu machen. Das hilft auch uns dabei, gegen das Gefühl der Ohnmacht bei den schlimmen Entwicklungen u.a. wie seit 2022 in der Ukraine anzukämpfen. Was uns ebenfalls gut tut, ist der große Zuspruch, den wir von unseren Spenderinnen und Spender per Mail oder in den sozialen Netzwerken für unsere Arbeit erhalten. Das stärkt uns zweifellos den Rücken.
Foto: © WTG
Einen Auszug könnt ihr HIER in der Ausgabe von Pure & Positive lesen.
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