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„Kinder haben ein Recht auf ihre Kindheit.”

Christin Prizelius | 10.03.23 | Interview mit Anka Wittenberg | Fotos: © Childhood / Christof Sage

Mit dem Recht eines jeden Kindes auf eine Kindheit frei von sexueller Gewalt und Missbrauch wurde die „World Childhood Foundation“ 1999 von I.M. Königin Silvia von Schweden gegründet. Diese Organisation verfolgt das Ziel, das Recht der Kinder auf eine liebevolle und sichere Kindheit zu schützen und die Lebensbedingungen derjenigen Kinder zu verbessern, die Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Inzwischen gibt es vier Schwesterstiftungen der World Childhood Foundation und zwar in Deutschland, Schweden, den USA und Brasilien. Diese wiederum arbeiten aktuell mit über 60 Partnerorganisationen in 14 Ländern zusammen, wie zum Beispiel Thailand, Nepal, Moldawien, Südafrika, Russland, Ukraine und Belarus und haben und eine gemeinsame Vision. Jene Kinder, die die größte Gefahr laufen, Gewalt und sexuellen Missbrauch zu erfahren, liegen besonders im Fokus. Die Arbeit basiert dabei auf der UN-Kinderrechtskonvention.

Wir durften der Vorstandsvorsitzenden von Childhood Deutschland, Anka Wittenberg, ein paar Fragen stellen.

Die Zahl von Kindern allein in Deutschland, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, ist erschreckend hoch. Ganz zu schweigen von der Dunkelziffer. Die Kinder, die von Gewalt betroffen sind, leben mit einem erhöhten Risiko, erneut Opfer von Gewalt zu werden oder selbst gewalttätig zu werden. Wie arbeitet Ihre Organisation genau und wo setzt Ihre Arbeit an?

Wir sind ja eine Nichtregierungsorganisation und das erlaubt uns eine gewisse Unabhängigkeit, die wir dazu nutzen, gezielt Impulse zu setzen, um die Lebensrealität von betroffen Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Wir befördern als Stiftung konzeptionell und finanziell innovative Projekte und profitieren dabei von unserer Expertise aus mehr als 20 Jahren Projektarbeit im Kinderschutz. Mit den Childhood-Häusern übernehmen wir so aktiv Verantwortung, die bestehenden Strukturen in Deutschland weiterzuentwickeln und Standards für eine kinderfreundliche Justiz und multiprofessionelle Zusammenarbeit im Kinderschutz zu entwickeln. Natürlich sind die Prävention und der Schutz von Kindern vor Gewalt hier für uns maßgeblich. Nicht minder wichtig ist aber auch, bereits von Gewalt und Misshandlung betroffene Kinder bestmöglich zu unterstützen, zu begleiten und sich für ihre Rechte in Verfahren einzusetzen. Denn, genau wie Sie sagen: die Zahlen sind erschreckend hoch und die Folgen langfristig und schwerwiegend für die Betroffenen, aber auch für uns als Gesellschaft.

Childhood Deutschland fördert innovative und nachhaltige Projekte, die sich in der Prävention oder Intervention von Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt an Kindern stark machen. Dabei möchten Sie inspirieren und neue Lösungen entwickeln. Was sind das beispielsweise für Lösungen? Und wie genau inspirieren Sie?

Wichtig ist es für uns, ein offenes Ohr für innovative Ideen zu haben und hier auch mal gezielt eine Starthilfe finanzieller Art zu ermöglichen. Da wir in unserer Arbeitsweise sehr flexibel und agil handeln, können wir so häufig schnell und unbürokratisch Unterstützung ermöglichen, wo öffentliche Stellen einfach starrer sind. Wir suchen aktiv nach Best Practice Modellen national und international, wie zum Beispiel dem Barnahus, ein Konzept, das die Grundlage für die Umsetzung der Childhood-Häuser in Deutschland darstellt. Dabei sehen wir unsere besondere Rolle darin, gute Ansätze auf verschiedene Systeme übertragbar zu machen und gemeinsam mit unseren Projektpartnern Lösungen für eine gute Implementierung zu finden. Nicht zuletzt ist unsere Gründerin, ihre Majestät Königin Silvia von Schweden, eine Inspiration und auch eine Stimme, die sich stets für die Rechte und den Schutz der Kinder einsetzt und sich dort Gehör verschafft, wo es manchmal noch fehlt.

Foto: © Childhood / Christof Sage, I.M. Königin Silvia von Schweden mit Anka Wittenberg (u.a.)

Vor allem auch in Zeiten des Internets nimmt allein die Gefahr von sexueller Gewalt mittels digitaler Medien immer weiter zu. Viele Kinder und Jugendliche bewegen sich oft sorglos im Internet und machen schlimme Erfahrung mit Cyber-Grooming. Welchen Ansatz gibt es diesbezüglich und können sich Kinder und Teenager auch hier an Sie wenden?

Online-Safety ist in unserer internationalen Zusammenarbeit mit unseren drei Schwesterstiftungen in Schweden, USA und Brasilien natürlich ein großes Thema. International werden bereits Programme unterstützt: solche, die sich an Betroffene richten, um ihnen niederschwelligen Zugang zu Hilfsmaßnahmen zu ermöglichen, aber auch beispielsweise ein Programm, das die Präventionsangebote für potenzielle Täter und Täterinnen verbessern soll. In Deutschland stehen wir hierzu ebenfalls in engem Austausch mit Opferschutzorganisationen und Justiz- und Polizeibehörden, um gemeinsam zu erarbeiten, wie im Rahmen der Childhood-Häuser auch solche Fälle in der Aufarbeitung besser begleitet und unterstützt werden können.

“Die Grundlage unserer Arbeit ist die UN-Kinderrechtskonvention. Wir achten in all unseren Projekten darauf, dass diese Rechte inhaltlich Umsetzung finden.

Wie machen Sie die Kinder stark und klären sie über ihre Rechte auf? Durch welche präventiven Maßnahmen lassen sich Missbrauch, Ausbeutung und Vernachlässigung von Kindern verringern?

Die Grundlage unserer Arbeit ist die UN-Kinderrechtskonvention. Wir achten in all unseren Projekten darauf, dass diese Rechte inhaltlich Umsetzung finden. In den Childhood-Häusern ist es daher ein zentraler Kernpunkt, dass stets eine alters- und entwicklungsgerechte Partizipation und auch Information der Kinder erfolgt. Auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit legen wir großen Wert darauf, dass wir den Inhalt und die Bedeutung der Kinderrechte stets in den Mittelpunkt rücken und setzen uns zum Beispiel mit anderen Kinderrechtsorganisationen für die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ein. Ein erster Schritt ist es, Kindern zu helfen, sich auszudrücken, ihnen Raum und Möglichkeit zu geben, sich mitzuteilen und ihnen mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Genauso wichtig ist es, ihr Umfeld und auch die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, das Augenmerk darauf zu lenken, wie es den Kindern in ihrer Umgebung geht.

Wie genau sind die Childhood-Häuser aufgebaut?

Das Childhood-Haus ist eine kinderfreundliche, multidisziplinäre und Behördenübergreifende ambulante Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die Opfer oder Zeugen von sexualisierter und/oder körperlicher Gewalt geworden sind. Das Besondere bei unserem Konzept ist, dass es komplett aus der Perspektive des Kinders gedacht ist und dessen Wohlbefinden und Schutz in den Vordergrund stellt. Das heißt, im Verdachts- oder erklärten Fall von Gewalt gegen ein Kind oder Jugendlichen werden diese im Childhood-Haus in kinderfreundlicher Atmosphäre durch den gesamten Verlauf aus Untersuchungen und Befragungen begleitet. Durch diese Arbeitsweise können Untersuchungen und Befragungen des Kindes auf ein Minimum reduziert werden. So wird einer Retraumatisierung des Kindes vorgebeugt, stets im Sinne des Kindeswohls unter Berücksichtigung der Gesetzeslage. Ein Childhood-Haus ist in das lokale Gesundheitssystem, die Strukturen der lokalen Sozial- oder Kinderschutzdienste, der Behörden der Strafverfolgung sowie Justiz eingebettet, sodass der Aufbau der multidisziplinären Zusammenarbeit aller beteiligten Professionen bedürfen. Die Trägerschaft eines Childhood-Hauses kann, je nach lokalen Gegebenheiten, von einer der beteiligten Institutionen wie z.B. durch ein Klinikum oder eine Jugendhilfeeinrichtung federführend übernommen werden. Doch für alle gilt stets unsere goldene Regel: Unabhängig davon, welchen Ausgang ein Verfahren hat, das Kind muss an dessen Ende in einer besseren, gestärkteren Position sein, als zu Beginn.

Foto: © Childhood

Ihre Majestät, Königin Silvia von Schweden, hat die Foundation 1999 gegründet. Was ist seitdem alles passiert und wie konnte geholfen und unterstützt werden?

Weltweit haben die vier Schwesterstiftungen der World Childhood Foundation bereits über 1300 Projekte zum Schutz und zur Förderung eines sicheren Aufwachsens von Kindern auf den Weg bringen können, über 100 Projekte davon allein in Deutschland. Durch solche Initiativen und unsere kontinuierliche, eng vernetzende Arbeit auf nationaler und internationaler Ebene, konnte auch dafür gesorgt werden, dass bereits Gesetze in verschiedenen Ländern geändert wurden, beispielsweise im Sinne einer kinderfreundlicheren Justiz. Ich denke, ein wesentlicher Beitrag, den wir über all die Jahre hinweg leisten, ist die Enttabuisierung des Themas sexualisierte Gewalt an Kindern, auch unabhängig von den einzelnen Projekten.

“In Deutschland ist für uns die Zusammenarbeit mit föderalen als auch mit Bundesstrukturen ein wichtiger Schlüssel und wir profitieren von den Erfahrungen, die uns die jahrelange Zusammenarbeit auch auf europäischer Ebene und mit der UN bringt.”

Wie dürfen wir uns das vorstellen, dass Sie auf eine nachhaltige Verbesserung der Lebensrealität aller Kinder in Deutschland abzielen und dafür verschiedene Projekte miteinander ins Gespräch bringen sowie Partner mit Akteuren aus Wissenschaft und Politik verbinden? Wie ist da vor allem politisch die Resonanz?

Wir denken und handeln bei Childhood systemisch und können so verschiedene Akteurinnen und Akteuren und Inhalte gut verknüpfen. Eine Stärke ist dabei sicherlich, dass wir sowohl im Gespräch mit unseren Projektpartnern sind, die in der täglichen Alltagspraxis ihre Erfahrungen und auch Herausforderungen mit uns teilen. Genauso eng sind wir aber auch im Gespräch mit Verantwortungsträgern aus Justiz, Polizei, Jugendhilfe, Medizin und Psychologie und Fachleuten aus allen Bereichen. Wir stehen in engem Austausch in und mit Expertengremien, NGOs und GOs. In Deutschland ist für uns die Zusammenarbeit mit föderalen als auch mit Bundesstrukturen ein wichtiger Schlüssel und wir profitieren von den Erfahrungen, die uns die jahrelange Zusammenarbeit auch auf europäischer Ebene und mit der UN bringt.

Sie merken, wie wichtig es für uns ist, hier vernetzend zu denken, über Regionen und Systeme hinaus, um auch gezielt Synergien zu schaffen. Wenn Sie mich fragen, was wir uns noch wünschen würden, gerade von Seiten der Politik, dann wäre es, anzuerkennen, wie zentral die Rechte der Kinder (so wie sie in der UN-KRK formuliert sind) für uns als Gesellschaft sind. Sie möge anerkennen, dass Kinderschutz stets systemrelevant ist — und dafür Verantwortung übernehmen! Denn hier hat insbesondere Deutschland noch einige Aufgaben vor sich.

“Ich denke, eine große Angst oder Zurückhaltung kommt daher, dass man befürchtet, “das Jugendamt nimmt gleich die Kinder weg” oder “ich mische mich da in etwas ein, das mich nichts angeht, das privat ist”. Das stimmt aber natürlich nicht.”

Oft wird ja leider weggeschaut oder es werden Zeichen nicht richtig gedeutet bzw. erkannt. Wie geht man im Falle eines Verdachts damit um und an wen kann man sich wenden, und wie auch Sie von der Childhood Foundation Deutschland kontaktieren und unterstützen?

Wichtig ist, hinzuschauen, zuzuhören und die Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen! Der nächste wichtige Schritt ist es, sich Hilfe zu holen, von Menschen und Stellen, die sich mit diesen sehr schwierigen Fragen auskennen. Wir als Stiftung sind nicht in der direkten Alltagsarbeit mit den Kindern und Familien involviert. Wir versuchen jedoch stets mit Öffentlichkeitsarbeit und gezielten Informationen zu Hilfsangeboten zu unterstützen. So wiesen wir gerade in Zeiten der Corona-Pandemie regelmäßig über all unsere Kanäle auf die Nummer gegen Kummer oder das Hilfetelefon hin. Es gibt auch sogenannte insoweit erfahrene Fachkräfte, wie sie in Deutschland gesetzlich festgeschrieben sind. Sie sollen beratend hinzugezogen werden, wenn insbesondere Menschen, die beruflich mit Kindern zu tun haben, eine Kindeswohlgefährdung vermuten. Auch ist es stets möglich, sich beim Jugendamt und der Polizei zu melden und gegebenenfalls auch dahingehend anonym beraten zu lassen, was man tun kann oder an wen man sich wenden muss.

Jedes Kind und jeder Jugendliche hat auch das Recht, sich selbst direkt beim Jugendamt zu melden und dort um Hilfe zu bitten. Eine weitere Möglichkeit sind Beratungsstellen, die auch, je nach Profil, Kinder, Eltern und auch Fachleute unterstützen. Ich denke, eine große Angst oder Zurückhaltung kommt daher, dass man befürchtet, “das Jugendamt nimmt gleich die Kinder weg” oder “ich mische mich da in etwas ein, das mich nichts angeht, das privat ist”. Das stimmt aber natürlich nicht. Das Jugendamt und auch die Polizei sind vor allem dafür da, zu helfen, zu unterstützen und Gefahren abzuwenden. Doch Verantwortung sollten wir alle übernehmen. Es sind ja gerade diejenigen betroffen, die sich selbst kaum helfen können.

Vielen Dank für die Zeit!

Ich danke Ihnen, dass Sie sich einem so wichtigen Thema widmen! Lassen Sie uns gemeinsam Verantwortung übernehmen! Wir freuen uns über alle, die sich ideell aber auch finanziell für nachhaltige Veränderungen im Kinderschutz mit uns einsetzen! Nur gemeinsam können wir etwas verbessern!

Mehr Informationen unter: www.childhood-de.org

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