Melina ist seit über drei Jahren beim Verein Heimwegtelefon e.V. als Telefonistin tätig und spricht mit uns über ihre Motivation für diese Tätigkeit sowie die Heraus- und Anforderungen, die Bedeutung dieser Arbeit für die Gesellschaft, Zahlen und Statistiken, Unsicherheiten in „unklaren Situationen” und wie wichtig aus ihrer Sicht Empathie dabei ist.
Liebe Melina, du arbeitest für den gemeinnützigen Verein Heimwegtelefon e.V. Vielleicht magst du uns mal bitte ein bisschen mitnehmen. Wie kam es dazu? Seit wann machst du das? Was hat dich dazu bewogen, dich dort zu engagieren?
Vielen Dank erst einmal, dass ich hier sein und von meinem Ehrenamt erzählen darf. Ich mache das jetzt seit über drei Jahren und bin dort als Telefonistin tätig, aber auch in ein paar anderen Bereichen im Verein, wie zum Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit, im Recruiting und in der Ausbildung. Ich bin tatsächlich damals durch meine beste Freundin zum Heimweg-Telefon gekommen, die dort auch eine ganze Zeit lang ehrenamtlich telefoniert hat. Sie erzählte mir davon, war selber ein paar mal Anruferin und dann sehr dankbar dafür. Ich dachte mir, dass ich dieses gute Gefühl, was die Menschen mir gegeben haben, gerne zurückgeben würde. Also habe ich mich beworben und bin nun wie gesagt schon seit drei Jahren dort.
„Wir sind dann quasi die beste Freundin, die gerade keine Zeit hat! Wir merken allgemein, dass wir vor allem nach Mitternacht gebraucht werden, eben auch aus dem Grund, weil man schlechter jemanden aus seinem eigenen Umfeld erreicht.”
Wie ist das mit dem Verein entstanden? Wie hat es sich entwickelt und hast du auch ein paar Zahlen für uns?
Den Heimweg-Telefon e.V. als Verein gibt es seit 2018 in Deutschland. Das Heimwegtelefon selbst in Deutschland gibt es aber schon viel länger, nur damals eben noch nicht als Verein. Die Idee hatten ursprünglich zwei Freundinnen aus ihrem Urlaub in Stockholm mitgebracht, wo es nämlich eine Zeit lang mal ein Heimwegtelefon für die Stadt gab und was dort von der Polizei organisiert wurde. Die fanden das dann so toll, dass sie sich gedacht haben, das in Deutschland ebenfalls umsetzen zu wollen. So ist das Projekt zunächst in Berlin ganz klein gestartet und auch nur für ein paar Stunden. Dann erweiterte es sich immer mehr, das Team wuchs und so konnten wir auch immer mehr Stunden verfügbar sein. Irgendwann kam dann die Vereinsgründung und es professionalisiert sich immer weiter, so zum Beispiel auch in unserer Ausbildung. Das Anrufaufkommen ist vollkommen unterschiedlich, je nach Wochentag, Jahreszeit und natürlich auch Wetter. Die meisten Anrufe bekommen wir tatsächlich aber eher in den Sommermonaten. Im Sommer sind einfach mehr Menschen zu später Stunde unterwegs. Wir sind dann quasi die beste Freundin, die gerade keine Zeit hat (lacht)! Wir merken allgemein, dass wir vor allem nach Mitternacht gebraucht werden, eben auch aus dem Grund, weil man schlechter jemanden aus seinem eigenen Umfeld erreicht. Wir sind aktuell so um die 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Telefonistinnen und Telefonisten, die sich auf die Schichten aufteilen, können so noch mehr für die Menschen erreichbar sein.
Wow, toll! Und das für euch alles noch eben neben eurem Hauptjob, der Familie etc. Man hat ja schließlich auch noch ein Privatleben und möchte vielleicht selber auch irgendwann mal schlafen (lacht).
Schaltet ihr denn Anzeigen oder wie wird man auf euch aufmerksam?
Das ist ganz unterschiedlich! Viele erzählen uns, sie waren gerade in einer Situation, wo sie sich ein bisschen unwohl gefühlt, dann einfach gegoogelt und uns gefunden haben. Vielen begegnet es auch auf Social Media und sie speichern es sich ab oder hören von Freunden davon. Oder es wird von den Eltern empfohlen, wie es manchmal bei jüngeren Anruferinnen der Fall ist. Wir sind natürlich auf Social Media vertreten, sprechen viel darüber, geben Interviews etc. zu unserer Arbeit und haben jetzt nach und nach auch begonnen Kooperationen einzugehen, entweder mit Kommunen oder teilweise auch mit Unternehmen. In der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ist zum Beispiel das Frauenreferat auf uns zugekommen. Eine Bürgerumfrage kam dort nämlich zu dem Ergebnis, dass Menschen sich Maßnahmen für mehr Sicherheit oder ein verbessertes Sicherheitsgefühl gewünscht haben. Und dann gibt es noch eine Kooperation mit dem HVV, dem Hamburger Verkehrsverbund, im Rahmen einer Sicherheitskampagne.

Bild: © Heimwegtelefon e.V.
Wie viele Anrufe bekommt ihr so in einer Schicht und wie lange gehen diese?
An einem Abend erreichen uns so zwischen 20 bis 80 Anrufe. Wie viele das dann tatsächlich sind, ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Die Dauer einer Schicht sucht man sich ein bisschen selber aus. Wir werden nämlich nicht von unserem Dienstplanteam einfach in Schichten eingeplant, sondern jeder trägt sich selbst ein, wie man selber Zeit und Lust hat. Es ist ja auch immer noch ein Ehrenamt, was auch ins eigene Leben passen muss. Es geht bei zwei Stunden los und dann aufwärts. Gerade in einer Nachtschicht von Freitag auf Samstag oder von Samstag auf Sonntag beispielsweise geht das dann meistens von 24 Uhr bis um 3 Uhr. Da ist durchaus mehr los. Da kann es schon mal sein, dass man in diesen drei Stunden 10–15 Leute dran hatte und dann kann es wiederum auch mal sein, dass man Sonntagabend um 21 Uhr nur einen oder vielleicht sogar gar keinen Anruf bekommen hat.
Ist es kostenpflichtig, wenn man euch anruft?
Wenn man unsere Nummer 030 / 120 741 82 anruft, sind das nur die Kosten vom jeweiligen Anbieter für einen Anruf ins Festnetz. Aber von unserer Seite aus kommen keine Kosten on top.
„Ich hätte das selber in meinen Situationen damals auch gar nicht erklären können, denn es hatte keinen logischen Grund, warum es sich nicht gut angefühlt hat, aber ich wollte einfach etwas von dieser Hilfe, die ich damals bekommen habe, zurückgeben. (…) Wir bekommen von ganz vielen Menschen das Feedback, dass ihnen allein der Gedanke hilft, anrufen zu können. Quasi eine Art „Erste-Hilfe-Koffer” für sich dabei zu haben. Unser Ziel ist natürlich, dass uns in einer idealen Welt gar keiner braucht. Wir arbeiten sozusagen die ganze Zeit an unserer eigenen Abschaffung ”
Wenn du jetzt zurückschaust, welchen persönlichen Wert ziehst du bisher aus deiner Arbeit beim Heimweg-Telefon? Was ist für dich der Mehrwert deiner Tätigkeit?
Ich kenne wie gesagt das Gefühl, dass man sich abends auf dem Heimweg oder auf dem Weg zu irgendjemandem plötzlich unwohl fühlt, obwohl es gar keinen direkten Grund gibt, den man benennen kann. Es ist nichts vorgefallen, auch keine Notsituation, wo mir irgendwie die Polizei weiterhelfen könnte. Aber es ist einfach ein ungutes Gefühl und mit diesem Gefühl allein zu sein, fühlt sich für einen selbst ganz furchtbar an. Und da war ich als Anruferin selber so froh, das Heimweg-Telefon dranzuhaben. Ich hätte das selber in meinen Situationen damals auch gar nicht erklären können, denn es hatte keinen logischen Grund, warum es sich nicht gut angefühlt hat, aber ich wollte einfach etwas von dieser Hilfe, die ich damals bekommen habe, zurückgeben. Wenn ich merke, dass eine anfängliche Aufregung oder Anspannung sich bei meinem Gegenüber innerhalb unseres Gesprächs wandelt, die Stimmung viel entspannter wird, mein Gesprächspartner lachen kann und wir scherzen über irgendwas, gibt das einem ja selber auch ein total gutes Gefühl. Das ist es, was mir daran so Spaß macht und warum ich es so gerne mache. Und wenn man aus so einer Schicht rausgeht und vielleicht hundemüde ist, aber man weiß, dass ich jetzt nur einer Person damit ein gutes Gefühl geben konnte, war es mir das wert, dass ich jetzt erst um 24 Uhr ins Bett komme, statt normal um 22 Uhr.
Was hat die Vereinsarbeit für eine Bedeutung für unsere Gesellschaft, für uns alle?
Na einfach diese Option im Hinterkopf zu haben. Wir bekommen von ganz vielen Menschen das Feedback, dass ihnen allein der Gedanke hilft, anrufen zu können. Quasi eine Art „Erste-Hilfe-Koffer” für sich dabei zu haben. Unser Ziel ist natürlich, dass uns in einer idealen Welt gar keiner braucht. Wir arbeiten sozusagen die ganze Zeit an unserer eigenen Abschaffung (lacht). Wir möchten, dass sich keiner auf dem Heimweg aus irgendeinem Grund unwohl fühlt oder fürchtet. Und wir möchten, dass selbst wenn das irgendwie mal so ist, die Leute den Mut, die Kraft und die Selbstsicherheit haben, das alleine bestreiten zu können, die Situation richtig einschätzen und lesen zu können, um dann selber handeln zu können. Wir wollen da einsteigen, wo Leute sagen: „Ich bin gerade so in den Emotionen drin, ich kann die Situation nicht richtig einschätzen. Ich weiß gerade gar nicht mehr, ob das jetzt eine Notsituation ist und wo oben oder unten ist.” Genau da wollen wir einspringen und den Leuten helfen, dorthin wieder zurückzukommen, indem wir die richtigen Fragen stellen und sagen: „OK, pass auf, wir atmen jetzt tief durch und jetzt sagst du mir erst einmal, was los ist und wir kriegen das zusammen hin. Ich bin da und höre dich!”
„Die Gründe, warum ein Unwohlsein entsteht, sind ganz vielfältig und können manchmal auch gar nicht so genau benannt werden.”
Du kannst da jetzt aus Vertraulichkeitsgründen und für die Sicherheit aller Personen ja keine konkreten Fälle beschreiben, aber vielleicht allgemeine Situationen umschreiben, wie das ist und wie wir uns das vorstellen können. Was sind das für für Gespräche?
In den allermeisten Situationen sind es Menschen, die uns quasi für die letzte Meile anrufen, ganz häufig auch in Verbindung mit der ÖPNV-Nutzung, also gerade aus dem Bus oder der Bahn ausgestiegen sind, was ja irgendwie noch ein geschützter Raum ist, wo man Menschen um sich herum hat und auch Personal ansprechen kann. Meistens also gar nicht, wie man sich das vielleicht vorstellt, direkt aus der Bar oder dem Club in der Innenstadt rausgestolpert, sondern oft„ wie gesagt schon ein Stück selber unterwegs gewesen. Und eher auch in Randgebieten, wo es ins Ländlichere übergeht, und wo dann eben ein Unwohlsein entsteht. Auch das kann die verschiedensten Gründe haben. Also vielleicht, weil gerade viele Menschen irgendwie noch um einen herum sind, oder vielleicht auch, weil gerade niemand weit und breit zu sehen und die Beleuchtung ausgefallen ist, oder vielleicht, weil man gehört hat, dass dort schon mal etwas vorgefallen ist. Die Gründe, warum ein Unwohlsein entsteht, sind ganz vielfältig und können manchmal auch gar nicht so genau benannt werden. In den allermeisten Gesprächen, die wir führen, wandelt sich die Stimmung ganz schnell und wir steigen um auf Themen wie Hobbys, Beruf, Studium, Haustiere, Filme und Serienfilme — oder: „Wo kommst du gerade her Was hast du Schönes gemacht? Ach Geburtstag, wie cool!”
Da kann ja ganz schnell auch mal Panik entstehen und durch das Positive, was man soeben geschildert hat, holt man sich auch ein Stück weit wieder runter. Es entsteht Vertrauen. Da entsteht dann dieses Gefühl von Sicherheit und nicht von Angst und „Ich bin jetzt alleine in einer bedrohlichen Situation”. Man stellt diese Situation wieder her, allein im Kopf und emotional, und so kann man Sicherheit und Vertrauen vermitteln...
Ganz genau. Das ist uns ganz wichtig. Wir wollen nicht vom eigentlichen Heimweg ablenken. Unsere Anrufenden sollen trotzdem ihr Umfeld im Auge und Ohr behalten und weiter aufmerksam sein und auf das achten, was um sie herum passiert, um eben selbstbestimmt und sicherheitsbewusst handeln zu können. Noise-Canceling-Kopfhörer mit uns auf dem Ohr ist vielleicht nicht die optimale Entscheidung. Aber ein AirPod ist ein guter Weg. Wir wollen den Fokus quasi anders setzen und nicht, dass das Gespräch bleibt bei „Oh mein Gott, oh mein Gott, da kommt einer und der hat eine Kapuze auf!” Viel mehr alles im Auge behalten, aber den Fokus auf das Positive lenken.
Was bekommst du an Rückmeldungen von Menschen, wenn sie dann sicher nach Hause gekommen sind?
Da kommt schon sehr viel Dankbarkeit zum Ausdruck und einige entschuldigen sich sogar, dass sie überhaupt angerufen und uns so lange im Gespräch aufgehalten haben. Wir fragen ja nach dem Start- und Zielpunkt und können den Weg nach einer Datenschutzabfrage dann virtuell mitgehen. Die Einsätze mit Polizei oder Rettungsdienst, die wir dann dazu alarmieren, sind gerade mal 0,2% in all unseren Gespräche gegeben. 2023 hatten wir beispielsweise über 8500 Anrufe und nur in 16 Fällen die Polizei oder den Rettungsdienst dazu geholt. Und das kann dann auch mal präventiv gewesen sein oder medizinische Gründe gehabt haben, also Vorerkrankungen, die unsere Anrufenden haben und die dann vielleicht eine Rolle spielen, wie zum Beispiel Asthma oder wenn jemand stark alkoholisiert war. Das ist nicht immer das Gruselszenario, was man sich vielleicht in dem Kontext ausmalt.
Was macht das mit dir, wenn du all das hörst? Diese ganzen Schilderungen… Hast du dadurch mehr Angst oder sogar mehr Vertrauen ins Leben und in die Umwelt?
Ich finde diese Zahlen, die ich gerade genannt habe, sehr beruhigend. Und es ist auch gut zu wissen, dass es unseren Verein gibt. Wir sorgen da alle gut füreinander und es sind schon so tolle Freundschaften entstanden. Wir geben auch die Tipps weiter von der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes und das hilft schon sehr.

Bild: © Pexels, Maksim Goncharenok
„Wir begleiten Menschen. Wir wollen da sein für Menschen, die sich auf ihrem Weg unwohl fühlen und die gerade niemanden haben, den sie aus dem eigenen Umfeld erreichen können.”
Was empfindest du bei deinem Job als Herausforderung?
Manchmal empfinde ich es schon als Herausforderung, nachts so lange zu arbeiten und wenig zu schlafen, aber ich habe einen Gleitzeitjob und dann fahre ich einfach mal eine halbe Stunde später zur Arbeit. Das geht schon. Und dann hört man ja ganz viele unterschiedliche Geschichten und Hintergründe, die schon etwas mit einem machen und manchmal auch emotional belastend sind. Aber auch da spreche ich dann wiederum drüber und sorge gut für mich. Da ist dann die Seelsorge der bessere Ansprechpartner. Dann kann es auch mal sein, dass Anrufe plötzlich durch Funklöcher abbrechen und man nicht weiß, was weiter passiert, oder es gibt auch mal Fake bzw. Scherz-Anrufe — aber zum Glück nur selten. Manche geben sich da wirklich Mühe, uns irgendwelche Geschichten aufzutischen, und das ist natürlich super ärgerlich, weil sie anderen den Platz in der Leitung wegnehmen, die es vielleicht wirklich brauchen würden. Die allermeisten Gespräche sind aber zum Glück die mit zuckersüßen Menschen. Das durchschnittliche Alter von unseren Anrufenden liegt übrigens bei so um die 26, aber da kann natürlich alles dabei sein. Den jüngsten, den ich mal begleitet habe, war ein elfjähriges Kind auf dem Heimweg vom Training. Und ich habe auch schon mal eine über siebzigjährige Dame begleitet. Bei uns rufen zu einem Großteil Frauen an, aber ich hatte es ebenfalls schon, dass auch mal Männer angerufen haben. Da herrscht schon manchmal eine ganz große Unsicherheit, weil ja in den Medien eher kommuniziert wird, dass Frauen auf dem Heimweg Angst haben. Da sagen wir ganz klar: “Wir begleiten Menschen. Wir wollen da sein für Menschen, die sich auf ihrem Weg unwohl fühlen und die gerade niemanden haben, den sie aus dem eigenen Umfeld erreichen können.
Hast du für dich Rituale, um gut für dich zu sorgen, dass du das nicht mit in deine Nacht nimmst, mit in dein Energiesystem?
In der Regel brauche ich nach so einer Schicht schon noch ein bisschen Zeit, um wieder runterzufahren. Auch wenn es mal eine unspektakuläre Schicht war, also es war nicht so viel los und es waren ganz liebe angenehme Gespräche, sitzt man ja trotzdem am Schreibtisch, hält sich für Anrufe bereit und mir leuchten dabei zwei Monitore ins Gesicht. Meistens lese ich dann oder höre einen Podcast. Und dann haben wir noch das „Vereinsinterne Awareness Team”. Das heißt, wenn es irgendeine Situation gibt, irgendeinen Vorfall, was einen irgendwie beschäftigt oder belastet, kann man sich an sie wenden und da meldet sich dann ganz zeitnah jemand und hat da ein offenes Ohr. Manchmal gibt es einfach Situationen, wo man sich anschließend fragt, hätte ich etwas anders oder besser machen können, oder habe ich das so richtig gesagt etc., damit man das nicht mit sich rumträgt.
Was würdest du denn sagen, welche Fähigkeiten besonders wichtig sind bei dieser Tätigkeit?
Empathie ist das Erste, was mir in den Kopf geschossen ist, weil man einfach mit Menschen zu tun hat, die gerade in einem für sie richtig blöden Moment sind. Und dann einfühlsam und offen damit umzugehen, ist elementar. Man spricht ja auch mit Menschen, mit denen man sonst so im privaten Leben nie Kontakt hätte. Also eine gewisse Offenheit, ein gewisses Interesse, von ganz neuen Dingen zu hören, sind in meinen Augen daher ebenfalls wichtig. Dann gehört natürlich auch eine technische Grundkompetenz dazu, denn wir arbeiten ja zu 100% digital und betreiben sozusagen Zivilcourage aus dem Homeoffice. Außerdem ein gewisses Talent für Gesprächsführung, einfach dass man sich in Themen zurechtfindet, zu denen man sonst sogar keinen Bezug hat, und dass man Bälle, die einem zugespielt werden, auch aufnimmt und wieder verwandelt. Und dann ist ein wichtiger Punkt natürlich, dass man überhaupt die zeitlichen Kapazitäten hat. Wenn man das Heimweg-Telefon unterstützen möchte, sind das nämlich 8 Stunden Schicht im Monat, also alles in allem kommt man dann auf ungefähr 12 Stunden Gesamtzeit, die man investiert. Und jede Geschichte ist anders. Jeder hat sein Thema und dann muss man auch reflektieren. Vielleicht passt es jetzt gerade nicht, aber vielleicht passt es wieder, wenn die Kinder älter sind, oder vielleicht mache ich das jetzt nicht, wo ich im Schichtdienst arbeite, aber ich habe bald einen anderen Beruf mit geregelteren Arbeitszeiten, dann geht es vielleicht wieder. Was jetzt nicht geht, kann ja vielleicht in Zukunft funktionieren. Und eine weitere Grundfähigkeit ist, dass man selber die Ruhe in so einer angespannten Situation behalten kann, sowie Multitaskingfähigkeit. Manchmal können aus einfachen Gesprächen Gefahrensituationen entstehen. Da muss man dann auch entsprechend handeln können.
„Ich wünsche mir zum einen, dass wir alle besser und gut aufeinander aufpassen. Das bedeutet eben auch Empathie, mich in meine Mitmenschen einzufühlen!”
Wenn du auf dein bisheriges Leben schaust, aber auch in was für einer Zeit wir jetzt aktuell leben, mit Blick auf auf die Zukunft, was wünschst du dir für dich, für euch im Verein und uns alle als Gesellschaft? Wie können wir da alle positiv mitwirken und gestalten?
Ich habe zwei Wünsche. Ich wünsche mir zum einen, dass wir alle besser und gut aufeinander aufpassen. Das bedeutet eben auch Empathie, mich in meine Mitmenschen einzufühlen: Wie geht’s meinem Gegenüber, was hat er oder sie vielleicht erlebt?! Und vielleicht auch, dass man ein bisschen auf die Mitmenschen achtet und ein offenes Ohr und Auge hat. Und mein zweiter Wunsch ist, dass wir einfach alle mehr miteinander ins Gespräch kommen und jetzt gerade auf das Heimweg-Telefon bezogen, einfach mal davon erzählen, es mit in den Freundeskreis oder zur Arbeit oder in die Familie zu nehmen und offen zu sein für die Gespräche.
Was ist dir zum Abschluss noch wichtig?
Ich würde gerne noch etwas zum Thema Notsituationen ergänzen. Es ist grundsätzlich natürlich immer besser, wenn man selber den Notruf wählt, weil man selber am besten weiß, was gerade passiert, wo man ist und wie einem geholfen werden kann, aber das Heimweg-Telefon springt auch ein, wenn wir merken, unser Gegenüber ist gerade nicht in der Lage dazu, das selber zu tun oder wir werden konkret darum gebeten. Und was wir dort benutzen und was ich in jedem Fall empfehlen kann, ist die Nora-Notruf-App. Das ist die offizielle App der Länder und des Bundes, um Notrufe zu übermitteln. Der Vorteil von dieser App ist nämlich, dass ich meinen Standort direkt mit übermitteln kann, das heißt, ich muss selber gar nicht so genau wissen, wo ich gerade bin. Man klickt sich da einfach ganz unkompliziert mit diesen u.a. klassischen W‑Fragen (Wer, wo, wie, wann, was, warum) durch, die man irgendwann in einem Erste-Hilfe-Kurs mal gelernt hat, wird daraufhin mit der für einen gerade zuständigen Leitstelle verbunden und kann dann entweder mit dieser Leitstelle telefonieren oder chatten. Das heißt, man kann auch einen stummen Notruf auslösen, falls man irgendwann mal in einer Situation sein sollte, wo man sich gerade versteckt. Man kann dann also auch einfach texten. Warum wir die so gerne benutzen ist nämlich, dass ich auch einen anderen Standort eintippen kann, als meinen eigenen. Zum Beispiel, wenn ich mit jemandem aus Berlin spreche und er oder sie gerade einen Notfall hat, kann ich direkt die Adresse in Berlin eingeben und muss nicht erst einmal hier in Hessen erklären, warum ich jetzt bitte mit Berlin sprechen muss. Die App ist kostenlos, kann sich jeder und jede herunterladen und es gibt dort auch einen Demo Modus, das heißt, man kann alles testen und ausprobieren, ohne einen echten Notfall auszulösen… Dass man das so als Möglichkeit auf dem Handy mit sich führen kann, finde ich eine tolle Sachen und sehr wichtig.
Das ganze Interview mit Melina gibt es in unserem Podcast (Folge 45) HIER.
MEHR INFORMATIONEN: Telefon: 030 12074182 Aktuelle Öffnungszeiten: Sonntag – Donnerstag: 21 – 24 Uhr, Freitag & Samstag 21 – 03 Uhr Website: www.heimwegtelefon.net Instagram: www.instagram.com/heimwegtelefon/ Tipps der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes: www.heimwegtelefon.net/tipps Das Heimwegtelefon unterstützen: www.heimwegtelefon.net/unterstuetzen Bewerben und mitmachen: www.heimwegtelefon.net/mitmachen Nora Notruf-App: die offizielle Notruf-App der Bundesländer: www.nora-notruf.de |