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Ich habe auch so viel Positives erfahren.

Christin Prizelius | 15.02.24 | Interview mit Katja Beermann zum “Internationalen Kinderkrebstag” | © Pixabay
Liebe Katja, wir waren damals im Austausch, als ihr um das Leben eurer kleinen Emma gekämpft habt. Leider hat sie kurz nach unserem Interview den Kampf gegen den Krebs verloren. Wie geht es dir und euch als Familie? Wie sieht dein Leben heute aus?

Mein Leben heute, nach vier Jahren ohne Emma, ist ein ganz anderes, als ich es mir vorgestellt habe. Meine Ehe ist nach Emmas Tod nach 18 Jahren zerbrochen und alles wieder auf null. Aber ich sehe im Nachhinein diese harte Zeit auch als sehr lehrreich und notwendig für mich an, um jetzt da zu sein, wo ich bin. Mit meinem tapferen Sohn, meinem neuen Partner an meiner Seite sowie seit kurzem unserer kleinen Pflegetochter, die mein Herz berührt, und nicht zu vergessen unserem zuckersüßen Hund. 

Heute ist der Internationale Kinderkrebstag. Wie schaust du mit all den Erlebnissen und Erfahrungen jetzt auf diese harte und schwere Zeit zurück? 

Ich versuche nicht zurückzuschauen. Da waren und sind so viel Leid, Schmerz und Tränen. Gedanken an diese Zeit machen mich sehr traurig. Allerdings gibt es auch viele Dinge aus der Zeit, von denen ich noch zehre, wie der Kontakt zu Schwestern, Ärzten und unserem Psychologen Tim. Rückblickend habe ich neben all dem Leid so viel Positives von so vielen Menschen erfahren, das trägt mich noch heute. Es ist unfassbar, das alles überlebt zu haben, aber es geht weiter, jeden Tag. Löwenstern e.V. ist eine Elterninitiative, die uns während der Zeit und auch vor allem NACH Emmas Tod aufgefangen hat.

“Die Zuversicht war bis zum letzten Atemzug von Emma da, die Hoffnung auf ein Wunder auch.”

Was hat dir in dieser Zeit Kraft gegeben immer weiter zu kämpfen? Woher kam eure Zuversicht?

Die Zuversicht war bis zum letzten Atemzug von Emma da, die Hoffnung auf ein Wunder auch. Die Stärke hat uns unsere Tochter gegeben, für sein eigenes Kind gibt man niemals auf. Sie hat uns gelehrt, wie tapfer ein Mensch sein kann, wie viel ein Mensch aushalten kann. 

“Im Nachhinein ist für mich das entscheidende Gefühl, dass ich nicht versagt sondern alles Erdenkliche getan habe.”

Wie macht man nach dem Krebstod des eigenen Kindes weiter? Wie schafft man das? Wie nimmt man wieder Positives im Leben an und lacht irgendwann auch wieder?

Tja, wie macht man weiter?! Ich würde sagen mein Lebensretter war am Ende mein Sohn Paul. Für ihn, der so gelitten und dabei ein unbeschwertes Leben verdient hat, versuchte man das normale Leben mit Kindergarten etc. zu leben und jeden Tag aufzustehen. Ich habe mir das Tattoo “Stehaufmädchen” (dazu gibt es ein Lied) auf mein Handgelenk stechen lassen. Wenn es mal schwer war morgens aufzustehen, habe ich es mir angeschaut. Und ich hatte das Gefühl ich möchte Emma stolz machen. Ihr zeigen, dass wo auch immer sie ist, ich ihre Mama bin und es für sie schaffe. Natürlich klingt das jetzt einfacher als es am Ende war. Es gab auch eine Zeit mit medikamentöser Unterstützung, weil es nötig war, denn das schwarze Loch war so nah vor mir. Das wollte ich für meinen Sohn nie, dieses Loch betreten. Ich glaube das hilft sehr. Paul und ich durften durch Löwenstern e.V. einen wunderschönen Urlaub verbringen, der uns so dermaßen zusammengeschweißt hat. Eine Mutter-Kind-Kur war ebenfalls zielführend als Unterstützung. 

Foto: © Pexels

“Mir haben die Klinik und das Personal sehr viel Kraft gegeben. Auch aus betroffenen Eltern wurden Freunde, eine Familie mit gleichem Schicksal.”

Ich durfte euch in diesen schweren Zeiten für unser schönes gemeinsames Projekt damals ein bisschen begleiten (Zum Interview HIER). Du hast dich dafür sehr engagiert und mit Krankenschwestern sowie Ärztinnen gesprochen und warst mit einer Elterninitiative im Austausch. Was empfindest du rückblickend als besonders wichtig? Was würdest du Menschen sagen, die in ähnlichen Fällen ebenfalls betroffen sind? Wo und wie kann man Hilfe bekommen und was braucht es in so einer Situation? 

Ich würde Eltern raten viele Gespräche zu führen, sei es mit anderen betroffenen Eltern, Ärztinnen und Ärzten oder Psychologinnen und Psychologen in der Klinik. Ich habe mir alles immer richtig erklären lassen. Im Nachhinein ist für mich das entscheidende Gefühl, dass ich nicht versagt sondern alles Erdenkliche getan habe. Man sollte die Angebote der Elterninitiativen nutzen und sich selbst in der Zeit nicht vergessen. Man darf auch mal einen Kaffee trinken, während das Kind anders versorgt ist. Mir haben die Klinik und das Personal sehr viel Kraft gegeben. Aus betroffenen Eltern wurden Freunde, eine Familie mit gleichem Schicksal. Wir haben an manchen Abenden zusammen Pizza in die Klinik bestellt und ein Bierchen getrunken. 

Erinnerst du noch, mit welchen Gefühlen und Gedanken du am stärksten konfrontiert warst? Wie ist Paul damit umgegangen? Wie fängt man das als Familie auf?

Mein stärkstes Gefühl war die Angst Emma zu verlieren und als nach der erfolgreichen Knochenmarktransplantation 20 Tage später schon der Rezidiv eintrat, wusste ich, dass wir verloren haben. Ich habe an diesem Tag wirklich jede Klinik in ganz Deutschland angeschrieben, aber von allen kamen niederschmetternde Antworten. Ich wollte die Wahrheit nicht akzeptieren. Die Angst war so groß, wann es passieren wird, wann Emma von uns geht. Die Angst, Paul das sagen zu müssen, einem fast 6‑Jährigen, und dann die Minuten, in der Emmas Herz stehen blieb und mein Herz brach. Das sind Gefühle, die ich niemandem wünsche. Paul hat das ganz großartig gemeistert, er war mehr für mich da, hat versucht mich zu belustigen und hat es eigentlich sehr kindlich aufgenommen. Trauerpfütze rein und wieder raus. Ich bin so stolz auf meinen Sohn, der laut einem Psychologen sehr gut im Leben steht, das macht mich glücklich.

Bist du gläubig? Vor ein paar Tagen wäre Emma 8 Jahre alt geworden. Wie ist ist sie weiterhin mit euch verbunden? 

Man kann nicht sagen, dass ich großartig gläubig bin. Ich glaube an etwas, aber an wen, keine Ahnung. Ich glaube an Dinge wie die Nahtoderfahrungen von einigen Menschen und hoffe auch, dass es so ist. Ich wünsche es mir für Emma. Paul, mein Lebensgefährte und ich haben seit Emmas Tod so viele unmöglich skurrile Dinge erlebt, die so spooky sind, dass man sie nur glauben kann, wenn man sie erlebt, Emma ist irgendwie noch da. Sie zeigt sich, das mag verrückt klingen, und schenkt mir so viel Wärme. Ich weiß, sie leidet nicht mehr. 

“Der Tod ermahnt uns das Leben zu nutzen und die vielen schönen Momente, die wir täglich gemeinsam verbringen, zu genießen. Aber auch bei mir geht das nicht jeden Tag, denn es fehlt ein besonderer Mensch!”

Der Internationale Kinderkrebstag am 15. Februar ist krebskranken Kindern und Jugendlichen gewidmet. Er soll auf ihr schweres Schicksal aufmerksam machen. Was war deine größte Lehre, die du aus diesem Schicksal vielleicht auch im Hinblick auf das Leben gezogen hast? Was ist dir im Leben heute wichtig und was machst du auch anders als damals?

Meine größte Lehre ist, dass man immer im Gespräch bleiben muss. Das Personal ist so unterbesetzt, auch auf diesen Stationen, dass man wirklich sehr mitdenken muss. Seitdem kämpfe ich für meine Rechte und lasse mir vieles erklären, bis ich es verstehe. Mein Herz kommuniziert über meine Zunge, immer liebevoll, aber direkt und ehrlich. Das mag nicht jeder, aber ich mag es sehr an mir. Zu erkennen, dass das, was passiert ist, nicht nur ins Unglück geführt hat, ist ein wichtiger Teil. Die Verarbeitung der Trauer hat mich zu einer Persönlichkeit gemacht, die ich sehr mag.

Foto von Emma: © Privat

“Am Ende wünsche ich mir, dass die Menschen wieder dankbarer sind und aufhören, sich über Kleinigkeiten zu ärgern. Sie sollen ihre Kinder in den Arm nehmen und ihnen einen Kuss geben — wie sehr würde ich mir das wünschen!”

Emmas Tod hat mein Leben in eine Richtung gebracht, das ich mir nicht hätte vorstellen können, und es ist so positiv. Einen Menschen verloren zu haben, den man sehr geliebt hat, hat mir die Fähigkeit gegeben, mich am Leben zu erfreuen und es wertzuschätzen. Der Tod ermahnt uns, das Leben zu nutzen und die vielen schönen Momente, die wir täglich gemeinsam verbringen, zu genießen. Aber auch bei mir geht das nicht jeden Tag, denn es fehlt ein besonderer Mensch! Am Ende wünsche ich mir, dass die Menschen wieder dankbarer sind und aufhören, sich über Kleinigkeiten zu ärgern. Sie sollen ihre Kinder in den Arm nehmen und ihnen einen Kuss geben, wie sehr würde ich mir das wünschen! Aber ich bin dankbar, dass ich und meine Lieben gesund sind, dass wir jeden Tag ohne Schmerzen aufstehen. Da draußen sind so viele krebskranke Kinder, Eltern und Geschwister, die leiden. 

Abschließend wünsche ich mir, dass viele daran denken und vielleicht auch etwas spenden, denn das macht es den Eltern und Kindern erträglicher. Es ist eine nicht öffentliche Welt, die Krebsstation. Keiner sieht krebskranke Kinder, denn sie dürfen nicht mehr raus, zu hoch ist die Gefahr, sich eine normale Krankheit einzufangen. Diese Welt wird oft verdrängt oder vergessen. Bitte spendet für diese Kinder: die Elterninitiative Löwenstern e.V. kann jeden Euro gebrauchen. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es da ankommt, wo es gebraucht wird. Spendet gerne im Namen meiner kleinen Emma-Maus und lasst sie nochmal in euren Gedanken leben: www.loewenstern-ev.de.

Katja Beermann

Das gesamte Interview mit ihr in einem Auszug aus der Oktoberausgabe 2018 von “Pure & Positive” HIER.

Foto: © Privat


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