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Christin Prizelius | 21.10.2024 | Interview mit Petra Gerstkamp vom Müttergenesungswerk | © Jan Pauls

„Das Müttergenesungswerk (MGW) setzt sich für die Gesundheit von Müttern und inzwischen auch Vätern und pflegenden Angehörigen ein. Die gemeinnützige Stiftung wurde 1950 von Elly Heuss-Knapp, der Frau des ersten Bundespräsidenten mit dem Ziel gegründet, die Gesundheit von Müttern mit Kuren zu unterstützen – als es damals hierfür noch keinen gesetzlichen Anspruch gab. Aufgrund von gesellschaftlichen Entwicklungen und sich verändernden Rollenbildern bildet das Müttergenesungswerk 2013 eine „Zustiftung Sorgearbeit“ und kann darüber bundesweit einmalige, ganzheitliche und geschlechtssensible Vater-Kind-Kuren sowie spezifische Kuren für pflegende Angehörige anbieten. Wir haben mit Petra Gerstkamp, der stellvertretenden Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, gesprochen.

Das Müttergenesungswerk (MGW) setzt sich für die Gesundheit von Müttern und inzwischen auch von Vätern und pflegenden Angehörigen ein. Seit wann gibt es das MGW und wie hat alles angefangen?

Das Müttergenesungswerk wurde 1950, vor fast 75 Jahren von Elly Heuss-Knapp gegründet. Sie war nicht nur die Frau von Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten, sondern vor allem eine sehr moderne Frau, die sich Zeit ihres Lebens für die Belange von Menschen insbesondere Frauen bzw. Müttern eingesetzt hat. Als Gründerin einer Mädchenschule, als Politikerin, als Werbefachfrau – sie hat immer Neues gewagt. Die Gründung des Müttergenesungswerks hat sie selbst als die „Krönung ihres Lebens“ bezeichnet. Seitdem gibt es Kuren für Mütter. Durch den Einsatz des MGW über die Jahre wurden die Kurmaßnahmen gesetzlich verankert und 2007 zu gesetzlichen Pflichtleistungen der Krankenkassen. Seit 2013 gibt es durch die Zustiftung Sorgearbeit auch Kurangebote für Väter und pflegende Angehörige im MGW.

„Die Vision des Müttergenesungswerks ist es, die Gesundheit von Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen zu erhalten. Darum setzen wir uns auch für ihre gesundheitlichen Interessen in Form von besseren Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Politik ein.”

Bitte erzählen Sie uns ein bisschen etwas über Ihr Leitbild und Ihre Vision…

Die Vision des Müttergenesungswerks ist es, die Gesundheit von Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen zu erhalten. Darum setzen wir uns auch für ihre gesundheitlichen Interessen in Form von besseren Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Politik ein. Die Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen in den mehr als 70 gemeinnützigen und vom MGW anerkannten Kurkliniken bieten Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen die Möglichkeit, wieder zu Kräften zu kommen, wenn die Belastungen des Alltags zu stark geworden sind.

Wer hat Anspruch auf eine Kur beim Müttergenesungswerk?

Für Mütter und Väter in Erziehungsverantwortung besteht gemäß §§ 24 und 41 SGB V ein Anspruch auf Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen, sofern ein gesundheitliches Problem vorliegt, das in Zusammenhang mit der mütter- bzw. väterspezifischen Beanspruchung der Familienarbeit steht. Zu den typischen Beschwerden zählen unter anderem: starke Erschöpfung, Kopf- und Rückenschmerzen, Abgeschlagenheit, Unruhe, Angstgefühle, Magen-Darm-Beschwerden und Schlafstörungen. Diese Gesundheitsprobleme stehen oft in direktem Zusammenhang mit den besonderen Belastungen im Familienalltag, wie Erziehungsschwierigkeiten, Partnerkonflikten, Zeitdruck, Alleinerziehend-Sein, Verlust von Angehörigen oder der Pflege von Familienmitgliedern. Ähnliches gilt für Frauen und Männer, die Angehörige pflegen. Diese haben nach §§ 23 und 40 SGB V einen Anspruch auf stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen, wenn die vorliegenden Gesundheitsprobleme aus der Belastung der Pflege resultieren, was sehr häufig der Fall ist.

Bild: © Müttergenesungswerk

„Eine Kurmaßnahme bietet die Möglichkeit, aus dem belastenden Alltag und oftmals festgefahrenen Strukturen auszubrechen und mit neuen Impulsen einen Startpunkt in eine gesündere Zukunft zu setzen.”

Sie sagen “Gesundheit braucht Qualität”. Was meinen Sie genau damit? Wie läuft eine Kurmaßnahme ab und warum ist das in Ihren Augen so wichtig?

Eine Kurmaßnahme dauert in der Regel drei Wochen. In dieser Zeit haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich auf ihre Behandlungen zu konzentrieren. Diese reichen von medizinischen Behandlungen, über Physiotherapie mit Bewegungs- und Entspannungsangeboten, psychosoziale Einzel- und Gruppengespräche, bis zu therapeutischen Angeboten zur Mutter-Kind-Interaktion und Kreativangeboten. Reisen Kinder mit, werden diese pädagogisch betreut. Auch schulbegleitender Unterricht wird angeboten. Kinder erhalten bei Bedarf eigene medizinische Anwendungen, sofern die Krankenkasse des Kindes diese bewilligen. Am Nachmittag und am Wochenende gibt es dann Zeit und Ruhe für gemeinsame Aktivitäten. Eine Kurmaßnahme bietet die Möglichkeit, aus dem belastenden Alltag und oftmals festgefahrenen Strukturen auszubrechen und mit neuen Impulsen einen Startpunkt in eine gesündere Zukunft zu setzen.

Wie beobachten Sie die aktuelle Zeit? Wie hat sich der Bedarf evt. auch mit den Jahren geändert?

In der Zeit der Coronapandemie kam der Klinikbetrieb in den meisten Häusern zwangsläufig weitestgehend zum Erliegen. Seitdem ist der Bedarf stark angestiegen. Aktuell arbeiten die Kliniken an der Kapazitätsgrenze. Bereits heute warten Mütter, Väter und pflegende Angehörige trotz einer Kostenzusage durch ihre Krankenkasse bis zu einem Jahr und länger darauf, die Maßnahme antreten zu können. Wir gehen heute davon aus, dass jede vierte Sorge- und/oder Pflegearbeit leistende Person gesundheitlich so belastet ist, dass sie umgehend von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt eine Verordnung für eine stationäre, medizinische Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme erhalten müsste.

Welchen Einfluss haben gesellschaftliche Entwicklungen und sich verändernde Rollenbilder auf Ihre Arbeit?

Rollenbilder gehen einher mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und können direkt und auch indirekt Druck ausüben. Darauf, welche Aufgaben man als Mutter erfüllen sollte, darauf, wie Kinderbetreuung und Haushalt aufgeteilt werden sollten, oder auch darauf, ob Väter sich trauen Elternzeit zu nehmen. Sowohl Frauen als auch Männer kämpfen oftmals mit diesen Klischees – besonders im Kontext von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mütter arbeiten meist in Teilzeit, übernehmen den Großteil der Care-Arbeit und erschöpfen unter der Doppelbelastung. Väter gehen in der Regel einer Vollzeitbeschäftigung nach und haben gefühlt zu wenig Zeit für die Familie. Ständiger Zeitdruck wird dabei bei allen als größte Belastung empfunden, wie unser letzter Datenreport gezeigt hat. Die Hauptdiagnose bei Kurantritt sind psychische Störungen durch akute Belastungssituationen. Das ist sehr ernst zu nehmen und sollte rechtzeitig behandelt werden.

Bild: © Müttergenesungswerk

Bald feiert das MGW sein 75. Jubiläum. Mit welchen Gefühlen schauen Sie darauf zurück? 

In erster Linie schauen wir mit Dankbarkeit zurück auf 75 großartige Jahre des Engagements für Mütter und seit 2013 auf für Väter und pflegende Angehörige. Wir sind stolz auf unsere Meilensteine und Errungenschaften. Gleichzeitig blicken wir aber mit Tatendrang voraus auf zukünftige Aufgaben. Denn die Lage der Sorgearbeit Leistenden in unserem Land ist keineswegs gut. Zum einen sehen wir, dass die Belastung von Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen noch immer sehr hoch ist. Die Wartezeiten auf Kurplätze betragen aktuell aufgrund der hohen Nachfrage bis zu ein Jahr und länger. Wir sehen auch, dass der Personalnotstand in Deutschland die Situation der Familien immer prekärer werden lässt, da zu wenige Pflege- und Betreuungsangebote existieren oder immer wieder ausfallen.

„Mit unseren Alltagstipps wollen wir Mütter, Väter und pflegende Angehörige in ihrem Alltag unterstützen und ihnen Tipps und Rat mit an die Hand geben, wie sie gelassener und stärker durchs Leben gehen können.”

Das MGW hat tolle Alltagstipps zusammengestellt, um zu informieren, zu helfen und zu unterstützen. Welche sind das? Können Sie uns bitte ein paar Beispiele nennen?

Mit unseren Alltagstipps wollen wir Mütter, Väter und pflegende Angehörige in ihrem Alltag unterstützen und ihnen Tipps und Rat mit an die Hand geben, wie sie gelassener und stärker durchs Leben gehen können. Kürzlich haben wir positive Impulskarten zusammengestellt. Diese können auf unserer Website heruntergeladen werden und beispielsweise als Bildschirmhintergrund auf dem Handy gespeichert werden. So können sich positive Gedanken wie „Ich mache alles in meinem Tempo“ oder „Ich tue mir heute etwas Gutes“ manifestieren.

Gerade haben Sie die “Woche der Gesundheit” veranstaltet. Wie lief das ab und was ist die #Mentaldancechallenge?

Im Rahmen unserer Woche der Gesundheit haben wir uns als Bündnispartner dem Aktionsbündnis Seelische Gesundheit angeschlossen. Wir wollen mit unserer #MentalDanceChallenge über Social Media darauf aufmerksam machen, dass Überlastung nicht nur körperlich, sondern auch seelisch krank machen kann. Wir tanzen uns, gemeinsam mit anderen Organisationen und Persönlichkeiten (darunter auch Momfluencerin Charlotte Weise), den Stress von der Seele und symbolisieren nach außen: Ihr seid nicht allein!

Bild: © Maximilian Gödecke

„Wir raten allen, die sich durch den Familienalltag belastet fühlen, sich in einer Beratungsstelle zu einer möglichen Kurmaßnahme zu informieren.”

Wie kann man Sie kontaktieren und unterstützen?

Da wir uns rein aus Spenden finanzieren, helfen diese ganz direkt. So sind wir in der Lage, einkommensschwache Familien mit dem Eigenanteil der Kur zu unterstützen oder auch mit Reisekosten oder Anschaffungen für die Kurmaßnahme zu unterstützen. Alle Informationen rund um’s Spenden gibt es hier.

Was muss man tun, wenn man eine Kur im Müttergenesungswerk machen möchte?

Wir raten allen, die sich durch den Familienalltag belastet fühlen, sich in einer Beratungsstelle zu einer möglichen Kurmaßnahme zu informieren. Dort wird man auch bei der Antragstellung an die Krankenkasse unterstützt. Sollte es eine Ablehnung geben, helfen die Beratungsstellen auch beim Widerspruch. Zudem erfährt man im Vorfeld alles Wichtige darüber, was einen in den Kliniken erwartet und wie so eine Kurmaßnahme abläuft. So werden Kurbedürftige perfekt vorbereitet, was schließlich zu besseren Ergebnissen führt. Zur Suche einer Beratungsstelle geht es hier. Zur Kliniksuche im MGW-Verbund geht es hier.

Bild: © BPA Steffen Kugler, Elke Büdenbender (Frau des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier), MGW Webseite

Petra Gerstkamp ist stellvertretende Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks.

“Um die Gesundheit von Müttern und ihren Familien nachhaltig zu verbessern, hat das MGW das Konzept der „Therapeutischen Kette“ entwickelt. Sie beinhaltet ein integriertes System der gesundheitlichen Versorgung mit Information und Beratung, stationäre medizinische Vorsorge- oder Rehabilitationskuren sowie Nachsorgeprogramme. Dieses umfassende mütter- und väterspezifische Angebot ist weltweit einzigartig”, sagt das MGW.

Mehr unter: www.muettergenesungswerk.de

Bild: © Jan Pauls


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Hanna Aden wurde 1983 in Heidelberg geboren. Neben ihrem erlernten Beruf als Sonderpädagogin schreibt sie journalistische Texte und Kolumnen für Zeitschriften. Sie war Mitglied der Jury für den DELIA Literaturpreis. Schon für ihren Roman "I love you, Fräulein Lena"...