Der Rekordsieger der Vierschanzentournee, mehrfache Weltmeister, Deutschlands Sportler des Jahres, jetzt u.a. TV-Experte bei der ARD sowie Unternehmensberater, Keynote Speaker, Autor und Botschafter, Sven Hannawald, über seinen Weg zum Erfolg, seinen Burnout, die Stiftungsarbeit und das Engagement für psychische Gesundheit.
Sie sind sehr vielseitig beschäftigt. Wie schaffen Sie das alles?
Vielleicht klingt das jetzt viel, aber es ist alles koordiniert und findet ja auch nicht gleichzeitig statt. Jetzt ab Winter steht beispielsweise das Skispringen im Fokus. Im Frühjahr bis Herbst bin ich dann mehr mit den unternehmerisch-beratenden Dingen in Bezug auf Gesundheit beschäftigt. Jede Aufgabe hat auch ihren Zeitraum. Der Vorteil dabei ist ganz klar die Abwechslung. Das kennt man ja auch aus dem normalen Leben. Nach vier Wochen durchgehender Sonne freut man sich auch mal wieder auf den Regen.
“Mit dem Spruch “Dabei sein ist alles!” konnte ich nichts anfangen. Dann hätte ich auch zu
Hause bleiben können!”
Wie war der Weg zu Ihren Erfolgen?
Als kleiner Junge habe ich meinen Weg zum Skispringen gefunden und war Feuer und Flamme. Ich war dabei sehr ehrgeizig und perfektionistisch. Das war schon ein enormer Druck, den ich mir selbst auferlegt habe, aber natürlich gab es auch Zeiten, wo man nicht so viel Lust hatte und sich eher hinschleppen musste. Ich wollte das aber trotzdem unbedingt weiter machen. Mit dem Spruch „Dabei sein ist alles!“ konnte ich nichts anfangen. Dann hätte ich auch zu Hause bleiben können. Ich habe so viel Zeit meines Lebens mit dem Training verbracht, dann wollte ich am Ende auch entsprechende Ergebnisse sehen. Es war mein Traum, den ich gelebt habe.
War eine große Lektion dabei?
Ich habe bei all dem gelernt, wie wichtig Ausgleich ist. Es war zeitweise einfach zu viel und ich konnte meinem Körper dann nicht den nötigen Freiraum geben, den er gebraucht hätte. Der Ausgleich fehlte vollkommen. Das hat mich zwar erfolgreich gemacht, aber nach einem gewissen Grad konnte ich mir den Abstand nicht mehr geben, der ebenfalls wichtig ist. Das versuche ich heute weiterzugeben.
Wie hat man sich für all das immer wieder aufs Neue motiviert?
Aus eigener Kraft kann man so viel lernen, wenn man es koordiniert angeht. Wenn es heute irgendwo Motivationsprobleme gibt, und das sehe ich oft in Unternehmen, ist das meistens ein Zeichen dafür, dass der Körper überfordert ist. Das versuche ich auch in meinen Vorträgen zu vermitteln. Das, was auf uns zukommt, ist manchmal einfach zu viel und sehe es ja auch selbst immer noch bei mir. Man muss lernen, auf sich selbst zu achten. Ansonsten wäre ich auch ganz schnell wieder in der Klinik gewesen. Die heutigen Stressfälle sind oft gefährlich, der Körper strahlt dann auch keine Motivation mehr aus. Da es sehr individuell ist, sollte man persönlich für sich herausfinden, wie man seine Akkus wieder effektiv aufladen kann. Bewegung ist dabei aber auf jeden Fall schon mal eine genetische Grundregel, weil das unseren Stress abbaut.
Wie sehen Sie das, wenn Sie heute auf Ihre Kinder schauen? Was vermittelten Sie ihnen für ihre Träume?
Bei den eigenen Kindern sehe ich das aus der Perspektive meiner Erfahrungen. Unser Sohn ist gerade in die Schule gekommen und das ist natürlich ein weiterer Schritt, der ihm die Zukunft öffnet. Als Eltern versucht man, alles gut zu begleiten und dass es gut anläuft. Auch wenn natürlich nicht immer alles rosig verlaufen wird, ist es schon wichtig zu fördern, dass sie etwas finden, was ihnen Spaß macht und sie glücklich macht.
Als Ausnahmetalent hatten Sie damals mit einem enormen Leistungsdruck zu kämpfen, haben letztlich auch ein Burnout überwunden. Wie hat sich die Krankheit damals geäußert bzw. Was haben Sie als besonders belastend empfunden?
Die individuelle Stimme jedes Einzelnen spricht mit einem. Es hat aber viel mit Gewohnheiten zu tun und wie man aufgewachsen ist, wie man sie wahrnimmt und auf sie reagiert. Meine Stimme hat mir klar signalisiert: „Nimm mich raus, ich kann nicht mehr!“ Das Belastende war, dass ich diese Stimme zwar zunehmend wahrgenommen habe, aber in einem Level war, wo ich mich nicht darum kümmern konnte. Anfangs sagt man sich noch, dass das schon wieder weggehen wird. Irgendwann hat man dann vielleicht auch langsam das Einsehen, kommt da allerdings nicht mehr alleine raus. Mit der Zeit nahm schließlich die Leistung ab, was einen zusätzlichen unfrieden macht. Vom Kopf her weißt du dann zwar, wie wichtig Pausen sind, aber andererseits sagst du dir, dass man von Pausen nicht erfolgreich sein wird. Diese negative Formel muss man durchbrechen. Das ist allerdings vor allem in jungen Jahren nochmal anders, weil der Körper alles besser wegsteckt.
Wie hat sich das schließlich gezeigt?
Am Ende bist du einerseits abgeschlagen, müde und überfordert, andererseits aber auch unruhig und rastlos. Im Endstadium von einem Burnout oder auch bei Depression will man zwar nur seine Ruhe, andererseits merkt man in dieser Ruhe dann aber auch wieder die Unruhe. Bei diesem Abwärtstrend sollte man ganz klar schnell die Notbremse ziehen.
Welchen Tipp haben Sie hier für Betroffene?
Ich würde ganz klar in eine Klinik gehen. Das ist ein neutraler Ort, der nichts mit dem persönlichen Umfeld zu tun hat und wo man aufgewachsen ist. Sonst hat man die Erinnerungen, und wie alles angefangen hat, immer um sich herum. In der Klinik hatte ich schnell die Möglichkeit, mich wieder zu fühlen, was ich überhaupt bin und welche Reize vor der Tür der Klinik existieren. Im Endstadium des Hamsterrades kommt man da sonst alleine nicht raus. Da gibt es dann nur den Knall gegen die Mauer!
Was denken Sie, hat das mit Ihrem Umfeld gemacht?
Das nahe Umfeld hat vielleicht schon länger wahrgenommen, dass etwas mit einem nicht stimmt, aber man lässt den Gedanken nicht zu. Ich wollte mich nicht rausnehmen, weil damit das Gefühl verbunden war, etwas nicht hinzukriegen. Das gab es in meiner Welt nicht. Dass man aber zu lange viel zu viel gemacht hat, sieht nur das Umfeld von außen. Es war sicher für meinen engeren Personenkreis schwierig auf mich einzuwirken. Man lässt es als Betroffener schlichtweg nicht zu, obwohl das so wichtig wäre.
„Alle, die heute Erfolg haben, haben eine zweite Seite, die sie händeln müssen!“
In Ihrem Buch geben Sie in einer schonungslosen Ehrlichkeit nicht nur allen
Sportinteressierten einen Blick hinter die Kulissen des Lebens eines aktiven
Leistungssportlers, sondern machen auch all jenen Menschen Mut, die vor allem durch den Leistungsdruck unserer Gesellschaft selbst an Depressionen oder Burnout erkrankt sind. Wie kam es dazu?
Das Buch war eher das Ergebnis von Reaktionen, die es darauf gab, dass ich dieses Gefühl für mich selbst wieder entwickelt und offen darüber gesprochen habe. Ich habe gelernt einzuschätzen, was geht und was nicht, darüber zu sprechen und zu reagieren. Heute weiß ich, dass alle, die Erfolg haben, auch eine zweite Seite besitzen, die sie händeln müssen. Wir sind alle Menschen und haben unsere körperlichen, genetischen und psychischen Grenzen. Wenn man immer nur gibt und sich nicht um sich kümmert, ist das eine Minusrechnung. Wenn man also ab 30 nicht auf seine zweite Seite schaut, wird sich das rächen. Wenn ich von einer Person nur Erfolge lese, weiß ich genau, wie die andere Seite aussieht.
Bild: © Christof Stache
Zu welchen Erkenntnissen hat das geführt?
Als ich gemerkt habe, dass ich nicht auf jede Frage einzeln antworten oder mit allen telefonieren konnte, wollte ich anderen über das Buch etwas an die Hand geben. Es war dabei für mich auch wichtig, die Kindheit mit einzubeziehen. Je mehr Leute dich kennen, um so mehr Zeit kosten öffentliche Termine dann auch und das bedeutet weniger Zeit für dich, um vorwärts zu kommen. Das fehlt letztendlich auch für Ruhezeiten. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden und man muss zusätzlich ja auch noch trainieren. Je höher man kommt, desto größer ist das Paket, das man verwalten muss. Es kommt dann darauf an, die Balance zu finden zwischen „Ich muss für den Erfolg funktionieren, der ja auch Spaß macht“ aber eben auch den Ruhephasen.
Wie lässt sich das auf den beruflichen Alltag anwenden?
Egal welche Anstellung man hat, auch hier geht es um diese besagte Balance. Ein gewisser positiver Stress hat Reize für uns, die wir händeln können und die auch gut tun, weil wir uns sonst fragen würden, warum wir überhaupt auf der Welt sind, aber wenn wir vollgestopft sind mit Stress und keine Pausen machen, wird das schließlich zum Problem. Dann ist Stress negativ und toxisch. Das effektive Arbeiten durch die Digitalisierung bringt uns weg von unserer Natur und der Fähigkeit, unsere körperlichen Grenzen zu erkennen. Mit einem Muskelkrampf laufe ich ja auch keinen Marathon. Wenn man einen ganzen Tag lang im Büro sitzt, kennt man das Gefühl, wenn der Kopf zu viel hat. Da traut sich dann aber niemand zu sagen, dass er diese oder jene E‑Mail nicht mehr schafft. Wir müssen daher wieder mehr auf unsere Stimme hören, unabhängig von Arbeitskollegen oder Chefs, und unterscheiden, was man wirklich tun muss und was nicht. Und sich fragen: Wer bin ich und was brauche ich wirklich und dazu gehört auch Social Media.
“Wir wachsen an unseren Erfahrungen, aber psychisch hat es leider oft eine andere
Tragweite als körperlich.”
Sie sind auch Botschafter der bundesweiten “Offensive Psychische Gesundheit” und dadurch ein prominentes Vorbild für mehr Offenheit und Prävention. In der Kampagne wird auch die Frage gestellt: Wie lange kann man alles geben? Was beobachten Sie aktuell in unserer Gesellschaft? Wie lange kann man denn alles geben?
Zunächst einmal ist es natürlich von der (mentalen) Vorgeschichte und dem Alter abhängig. Wenn man 25 Jahre alt ist, hat man gewisse Themen einfach von Natur aus schon nicht. Mit zunehmendem Alter signalisiert der Körper einem aber dann, was zu viel ist. Mir macht es im heutigen Leben Angst, dass immer mehr jüngere Menschen zum Beispiel mit 25 Jahren als sogenannte Social Media Stars ausgebrannt sind. Zu dieser Zeit war ich in der Blüte meines Lebens und da hätte kommen können was wolle. Mein Ansatz ist, dass da die körperliche Betätigung fehlt. Es ist sehr entscheidend, womit wir uns beschäftigen. Ausschließlich geistig beschäftigt zu sein, ist auf Dauer toxisch. Mit diesem Bewusstsein und den Beispielen, die es gibt, ist es blind und naiv diesen Weg so weiter zu gehen. Ich hoffe daher, so viele wie möglich ansprechen zu können, und dass diese es dann auch annehmen. Wir wachsen an unseren Erfahrungen, aber psychisch hat es leider oft eine andere Tragweite als körperlich. Dennoch würde ich mir das Digitale nicht wegwünschen, weil es mir auch viel abnimmt und Abläufe erleichtert.
Welchen Ansatz haben Sie, um dieser Tendenz entgegenzuwirken?
Das Maß ist entscheidend und das Gefühl, was einem gut tut. Die innere Stimme wahrzunehmen und ihr zuzuhören ist unglaublich wichtig. Vor allem in Situationen, wo man die Wahl hat, noch etwas Berufliches zu tun, oder lieber zu entspannen und etwas für sich zu tun. Ich wünsche mir, dass dieses Bewusstsein für sich selbst wieder in die Köpfe der Menschen kommt. Ich war damals schon zu tief unten, als noch anders entscheiden zu können, daher hoffe ich, dass es andere für sich früher erkennen. Und ich weiß, dass ich kein Mensch 2. Klasse bin, nur weil ich ein Burnout hatte.
Wenn Sie jetzt auf alles zurückschauen…gibt es etwas, was Sie anders machen würden? Wenn ja, was?
Im Nachhinein ist das immer so leicht gesagt. Mir war der Erfolg zur damaligen Zeit sehr wichtig, von daher hätte ich wenig anders machen können. Selbstverständlich habe ich damals viel gelesen und mich erkundigt, aber die Symptomatik war in einigen Krankheitsbildern nicht eindeutig für mich. Damals gab es ja auch noch nicht so viele Lektüren darüber, wie heute, wo man als Betroffener lesen kann, ob man sich ähnlich fühlt. Das ist einfach meine Geschichte, die steht wie sie steht, und ich will sie auch nicht drehen. Die anstehende Tournee war mir damals einfach wichtiger als die mögliche Erkenntnis, ein Burnout zu haben. Heute sage ich, dass der Zukunft nichts im Weg steht, wenn man gewisse Dinge über sich und seinen Körper lernt. Man sieht ja auch täglich, was es für andere Schicksalsschläge gibt, das relativiert dann ebenfalls einiges. Letztendlich habe ich aber auch gemerkt, was der Mensch für eine Stärke dadurch gewinnt, wenn er so einen Tiefpunkt hinter sich gebracht hat.
Foto: © Sven Hannawald / Sven Ehricht
Sie sind außerdem als Unternehmensberater u.a. für betriebliche Gesundheit am Büroarbeitsplatz, mobil in Hotels sowie für gesundes Home Office unterwegs. Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeitswelt, Stichwort New Work? Was können Unternehmer und Unternehmerinnen von Sportlern wie Ihnen lernen?
Ich denke, man kann erst einmal festhalten, dass sich die Dinge in der Arbeit sowohl positiv als auch negativ verändert haben. Positiv daran ist ganz klar, dass wir in kürzerer Zeit effektiver arbeiten können. Das Negative ist, dass der Aufwand, um arbeiten zu können, fast null ist. Wir haben beispielsweise über unser Handy die Arbeit immer dabei und das ist das Toxische. Man wird dazu verleitet, dies oder das nochmal eben schnell zu machen und das verseucht vieles. Auf diese Weise erkennen wir nicht, dass der Körper auch mal Pausen braucht. Nach jedem Krafttraining braucht der Muskel schließlich auch eine Ruhephase. Und das müssen wir auch im Arbeitsleben lernen. In der neuen Arbeitswelt braucht es klare Grenzen. Wir müssen wieder mehr erkennen, wie wir Menschen eigentlich gemacht sind und was es braucht. Ein nettes Gespräch oder ein Spaziergang können da schon helfen – komplett ohne Handy oder den anschließenden Film am Abend. So sehen wir beispielsweise auch wieder mehr die Natur um uns herum und wie sie riecht. Das geht natürlich nicht über Nacht und braucht seine Zeit.
Die Sven Hannawald-Stiftung stellt die Förderung der Jugend im Bereich des Sports, vor allem des Skispringens, sowie die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere im Bereich der Prävention und Heilung von Burnout-Erkrankungen, in den Vordergrund. Wie läuft die Arbeit hier ab? Welche Geschichten begegnen Ihnen?
Leider steht und fällt alles mit finanzieller Unterstützung. Vieles ist mit Maßnahmen verbunden, die Geld kosten. Das Generieren von Spendengeldern ist harte Arbeit. Davon sind wir natürlich bei unserer Arbeit abhängig. Mit der Stiftungsarbeit sprechen wir nicht nur den Nachwuchs im Skispringen an, sondern auch Menschen, denen es so geht wie mir damals. Ich erlebe zum Beispiel auch Fälle, wo gesetzlich Versicherte in eine Klinik gehen möchten, es aber für die abgespeckte Version den Platz frühestens in einem Jahr gibt. Das ist schon bitter, wenn man weiß, dass Betroffene dieses Jahr vielleicht gar nicht überleben würden. Mit dem Geld aus der Stiftung möchte ich die finanziellen Lücken, die es beispielsweise für die Unterbringung in einer privaten Klinik geben würde, füllen. Aber in Deutschland ist es leider auch etwas bürokratisch und schwierig mitunter, Stichwort ärztliche Schweigepflicht. Hier arbeiten wir intensiv weiter an Lösungen.
Wie sorgen Sie für sich? Haben Sie ein Lebensmotto oder Mantra?
Nach meinen ganzen Erfahrungen habe ich einfach nur gelernt, mich zu spüren und danach zu leben. Wenn du danach lebst, hast du zwar weiterhin gute und schlechte Zeiten, erkennst aber grundsätzlich, dass du nicht mehr auf einer falschen Straße unterwegs bist. So gestaltet man sein Leben sinnvoll. Dann bin ich im Hier und Jetzt und das macht es überhaupt lebenswert. Ich hatte mal eine Zeit lang das Motto „Carpe Diem – Nutze den Tag!“ Aber jetzt ist es eigentlich bei allem, was ich tue: „Lebe dich selbst!“
Mehr zur Stiftung: www.sven-hannawald.com/stiftung
Weitere Infos: www.sven-hannawald.com