Die aus dem ZDF bekannte “Hundeflüsterin” Maike Maja Nowak arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie und Trauma-Expertin und ist Lehrerin für emotionale Kompetenz sowie Botschafterin von Hund zu Mensch. Nach einem Burn-out ging sie von 1991 bis 1997 in das russische Selbstversorgerdorf Lipowka. In dem “Dorf am Ende der Welt” lebten fast ausschließlich Frauen zwischen 68 und 103 Jahren. Hier freundete sich sie mit einem Rudel von zehn wilden Hunden an, das sie lehrte, wieder Vertrauen zu sich zu finden und Kraft zu bekommen.
Wie bist du zu dem gekommen, was du heute machst? Woher kommt deine Liebe zu Hunden? Bitte nimm uns ein bisschen mit auf deinen Weg…
Ich könnte jetzt behaupten, dass es so ist, weil ich schon als Kind einen Hund hatte, nur hatte das damals für mich etwas ganz Selbstverständliches. In Fahrt gekommen ist alles zunächst über die übliche Entfremdung. Als Kind und Jugendliche ist man abhängig und muss sich an sein Umfeld anpassen, egal wieviel Gewalt und Trauma vorhanden ist. Meine innere Stimme hat mich oft davor bewahrt, Dinge zu tun, denen ich gesellschaftlich entsprechen sollte, die sich für mich jedoch vollkommen falsch anfühlten. Ich habe also vieles gegen den Willen meiner Eltern gemacht. Das reichte, um als schwieriges Kind zu gelten.
Mit 19 begann ich dann als Liedermacherin auf der Bühne zu singen. Mein Wunsch zum eigenen Ausdruck erfüllte sich dadurch. Dennoch spürte ich tief in mir eine große Angst vor Menschen. Die Bühne ging wohl nur, weil das Publikum unten saß und ich oben stand, mir also wegen dieser Verabredung niemand etwas tun konnte (lacht). Es tat gut, endlich gesehen zu werden, bis ich den Irrtum verstand, der mich mit dieser Hoffnung erfüllt hatte. Natürlich sieht dich niemand. Man erstellt eine Projektionsfläche auf der die Emotionen und Gedanken anderer stattfinden können. Das ist die Aufgabe eines Künstlers.
“Als ich als Kind davon erzählte, wie ich mich mit Waldtieren ohne Worte verständigte, wurde das als Unsinn abgetan. Doch diese natürliche Fähigkeit von uns Menschen ist wahr und wurde mir durch die Hunde erneut bestätigt. So konnte ich langsam wieder in meine menschliche Natur finden.”
Wie kam es dann zu den Erfahrungen mit den Hunden?
Mit 30 bin ich als Liedermacherin nach Russland gegangen und lebte sieben Jahre in einem Selbstversorgerdorf. In dieser Zeit sind auf wundersamen Wegen zehn wilde und halbwilde Hunde zu mir gestoßen. Das Zusammenleben mit ihnen und den einfachen, Naturverbundenen Bauern führte mich auch zu mir zurück. Als ich als Kind davon erzählte, wie ich mich mit Waldtieren ohne Worte verständigte, wurde das als Unsinn abgetan. Doch diese natürliche Fähigkeit von uns Menschen ist wahr und wurde mir durch die Hunde erneut bestätigt. So konnte ich langsam wieder in meine menschliche Natur finden. Unser Funkkontakt ohne Worte, die geteilte Empathie, das gemeinsame Überleben auf Augenhöhe — ich habe auf diese Weise das einfache Menschsein wieder erlernt, nachdem ich bei traumatisierten Eltern in der Diktatur der DDR aufgewachsen bin und so etwas Gesundes nur sehr begrenzt erfahren konnte. Ein Kind glaubt vieles, was Erwachsene sagen, weil es Sehnsucht nach Vertrauen hat. So entsteht mit der Zeit eine Parallelwelt, in der sich Dinge unecht und gespenstisch anfühlen, in der man jedoch zurechtkommen muss.
“Die meisten Menschen haben einen “funktionalen Bewältiger” kreiert, der den Alltag meistert.”
Dein großes Themenfeld ist die Traumaarbeit bzw. Prozessorientierte Traumabegleitung. Magst du uns bitte ein bisschen etwas darüber erzählen? Wie entstehen Traumata, welche Formen gibt es und wie finden wir diese behutsamen Wege zur Traumaheilung? Wie ist dabei die Heilreise unserer Psyche? Vielleicht auch in Bezug auf dein Buch “Der Hund als Spiegel des Menschen: Behutsame Wege zur Traumaheilung”?
Es gibt das Schocktrauma, das durch eine einmalige überwältigende Situation entsteht, die das Nervensystem nicht abwehren oder verarbeiten kann. Zu mir kommen vorwiegend Menschen mit einem Entwicklungstrauma, in dem auch Schocktraumata enthalten sind. Von einem Entwicklungstrauma spricht man, wenn ein Gefühl von Ohnmacht über einen längeren Zeitraum hin anhielt und man weder fliehen noch dagegen kämpfen kann. Das ist häufig in der Kindheit der Fall. Der junge Mensch erstarrt dann innerlich und diese Erstarrung wächst immer mehr in das Kind oder den Jugendlichen hinein. Erlebte Ohnmacht, Abwertung oder die Abhängigkeit von traumatisierten Eltern sind nur wenige Beispiele dafür. Wenn Eltern nur noch funktionieren, können sie auch das Kind nicht in seinem ursprünglichen SEIN bestätigen. Sie erziehen es dazu, ebenfalls zu funktionieren. Das reicht aus, um ein Kind langsam vom eigenen Selbst zu trennen.
Viele von uns verstehen, warum die Eltern ihr Bestes gaben und nicht anders konnten. Aus diesem Grund schämen sich Menschen dann oft für den kindlichen Anteil in sich, der auf die Eltern wütend ist und sich verlassen und tottraurig fühlt. Doch das sind zwei verschiedene Anteile und beide haben aus ihrer Sicht Recht. Deshalb arbeite ich mit Anteilen. Um zu heilen, braucht es das Zusammenfinden von allem, was in uns ist und die Verbindung zum eigenen Selbst. In meiner Arbeit bringe ich Menschen wieder mit ihrem unzerstörbaren, heilen Kern in Kontakt, um diese Spaltung aufzuheben. Ich nenne sie “Empowerment-Arbeit”. Dabei nutze ich Heilwerkzeuge, die ich im Laufe der Zeit entwickelt habe, sowie eine eigene Form der Aufstellungsarbeit, geführte innere Reisen, die Arbeit mit dem Körper und mit inneren Anteilen. Es ist beeindruckend, wie stark und friedvoll Menschen wieder werden, wenn sie mit sich selbst verbunden sind.
“Verdrängung-Stabilisierung-Integration ergeben eine Heilreise, die jede Psyche anstrebt — auch die der Tiere.”
Die Verdrängung eines bestimmten Themas sorgt dafür, dass wir nach einer erfahrenen Ohnmacht und Überwältigung weiter funktionieren können. Danach beginnt das Nervensystem sich zu stabilisieren, um das Verdrängte irgendwann wieder zu integrieren. Diese drei Etappen: Verdrängung-Stabilisierung-Integration ergeben eine Heilreise, die jede Psyche anstrebt — auch die der Tiere. Unser Nervensystem könnte sich von schockierenden Ereignissen nicht erholen, wenn wir im Alltag zu diesem verdrängten Thema immer wieder Trigger erfahren würden. Deshalb entsteht in uns eine neue Seite, die aufpasst, dass wir diesen Lebensbereich meiden oder abwehren können. Dazu entwickeln wir bestimmte Strategien und kommen nicht ständig wieder mit der Überwältigung in Berührung. Wir können andere Kräfte mobilisieren und Kraft schöpfen. Diesen Anteil, der Abwehrstrategien verwendet, nenne ich Beschützer, Wächter oder Hüter.
Behütet er zum Beispiel eine überwältigende Erfahrung von Verlassenheit in der Kindheit, könnte er die Strategie entwickelt haben, sich abzukapseln, um kein Risiko einzugehen, erneut zurückgelassen und verletzt zu werden. Er kann auch Wildheit, wenn sie verboten oder abgewertet wurde, in Unscheinbarkeit verwandeln, damit keine keine weitere Ablehnung erfolgt. Ob du stabil genug bist, um ein verdrängtes Thema/Trauma zu integrieren, merkst du daran, dass du Bücher dazu liest, etwas aufzuschreiben beginnst, Veranstaltungen besuchst und/oder dir andere heilende Unterstützung suchst. Mitunter läutet das auch ein Hund ein oder ein anderes Tier, zu dem dein Unterbewusstsein JA gesagt hat, weil dessen Verhalten ein Thema in dir triggern wird, das dadurch gesehen und geheilt werden kann. Auch wenn dein Bewusstsein NEIN dazu sagt, hast du den Impuls, den du brauchst, gewählt. Es ist dennoch deine Entscheidung, ob du ihn annimmst oder nicht. Der Hund ist ein Spiegel für diese Anteile in uns, weil er sehr differenziert auf sie reagiert und sie anzeigt.
Foto: © Oliver Selzer
“Die Frage “Tut mir das gut?” ist an dieser Stelle wichtig.”
Du sagst: “Alle wesentlichen Veränderungen im Leben können nur mit dem Motor der Angst gemacht werden.” Was genau meinst du damit? Auch in Bezug auf unsere aktuelle Zeit und wie wir uns für die Zukunft ausrichten müssen und wappnen können?
Ich bekam vor ein paar Jahren mal eine Steuererklärung, die durch einen Fehler in meinem Büro so abstrus hoch war, dass ich damit überhaupt nicht gerechnet habe. Mein Kontostand war innerhalb von einer Sekunde auf 0. Das war ein Moment, wo keine einzige Strategie mir etwas genützt hätte. Zunächst sprang gefühlt jede Zelle in mir panisch nach oben und an eine andere Stelle zurück. Dann atmete ich tief durch und hörte meine innere Stimme sagen: “Das ist doch toll, jetzt bist du wieder ganz unschuldig und fängst von vorn an. Also kannst du alles machen.” Eine tiefe Ruhe, ja sogar ein Glücksgefühl, Neugier und Vorfreude erfüllten mich. Plötzlich war es ein Abenteuer und kein Desaster. Das zeigt, wie wichtig es ist, wer in uns reagiert. Mein Beschützer geriet sofort in Panik und befürchtete, nicht überleben zu können. Mein Selbst vermittelte mir eine andere Sicht. Man kann also die eigene Haltung immer auch wechseln und dadurch in sich selbst Sicherheit finden. Das ist besonders wichtig in einer Zeit, in der wieder Kriege die Welt beherrschen. Ich kann mich von einem Gefühl der Angst beherrschen lassen oder Friedensarbeit machen, in dem ich den Krieg in mir selbst heile und damit auch mein Umfeld befriede. Dazu gehört auch, sich keine Mediennachrichten mehr zuzumuten, die traumatisierend sind. Die Frage “Tut mir das gut?” ist an dieser Stelle wichtig.
“So lange in uns selber Krieg ist, werden wir auch Krieg führen. Und wir brauchen Frieden, deshalb ist die wichtigste Heilarbeit für die Welt, dass jeder Mensch sich selbst heilt.”
Wie sorgst du für dich und bleibst in deiner Kraft? Was ist dabei besonders wichtig?
Ich lebe zur Hälfte in der Brandenburger Prignitz und zur anderen Hälfte im Wald in Schweden. Ich brauche die Nähe zur Natur und die Verbindung zu einer kleinen Gemeinschaft, um mich wohlzufühlen. Beide Orte sind zu Heilstätten geworden, an denen ich mit Menschen therapeutisch arbeite. Ich habe dort wie hier verlässliche Freundschaften und spiele in beiden Ländern mit Begeisterung Tennis. Diesen Sport begann ich mit neunundfünfzig Jahren und kann nur jeden ermutigen, egal wie alt er/sie ist, mit etwas anzufangen, was Spaß macht! Das Wichtigste im Leben eines Menschen ist wahrscheinlich, ein Gefühl von Sinnhaftigkeit zu haben. Damit meine ich keine äußeren Erfolge, sondern die Freude, am Morgen aufzustehen und etwas beitragen zu wollen zum Hiersein. Die spirituell verbreitete Idee, das sogenannte Ego (also die Beschützerstrategien und Masken) umzubringen, wäre die Rettung, erzeugt den Eindruck, das bisherige Leben mit diesem Ego wäre falsch und sinnlos gewesen. Doch die Traumata unserer Zeit auszuklammern und damit auch die Notwendigkeit der Schutzstrategien (des Egos) zu leugnen, zeugt von einer Begrenzung, aus der bereits viel Borniertheit, weitere Verdrängung und Leid entstanden sind. Das Ego hat wichtige Ressourcen, die zu einer heilenden Qualität werden, wenn es wieder mit dem inneren Kern verbunden ist.
Hat ein Mensch zum Beispiel gelernt, andere zu scannen, damit ihm nichts geschieht, kann er dies, jetzt verbunden mit dem inneren Kern, als wertvolle Ressource verwenden. Sein bisheriges Motiv der Angst wandelt sich in liebevolle Einfühlung zur Unterstützung anderer. So bekommt diese, in der Not erlernte Strategie des Beschützers, eine heilende Qualität und Kraft. Alles gehört zu unserer gewachsenen Identität: Die erlebten Traumata, die entstandenen Schutzstrategien und das eigene Selbst. Hunde, Katzen, Pferde und andere dem Menschen nahe Tiere machen es uns vor. Sie können einen Menschen in seiner Gesamtheit annehmen, und vermutlich haben wir deshalb auch ein so großes Bedürfnis nach ihrer heilenden Nähe. Tiere waren und sind mein Vorbild in der Annahme von mir selbst und anderen. Die Traumata wurden von Generation zu Generation immer nur weitergereicht, weil diese ums Überleben kämpfen mussten. Erst jetzt streben viele Menschen Heilung an.
Maike Maja Nowak ist Autorin zahlreicher SPIEGEL-Bestseller. Ihre tiefe Verbindung zu Tieren, zur Natur und zum Kern des Menschen verleiht ihrer Arbeit eine einzigartige Kraft und Weisheit. Sie sagt: “Es ist beeindruckend, wie stark und friedvoll Menschen wieder werden, wenn sie mit sich selbst verbunden sind.“
Mehr zu ihr, ihren Kursen und zum aktuellen Buch unter: www.maike-maja-nowak.de
Und zu unserer Podcastfolge zum Interview bei Youtube und Spotify.
© Oliver Selzer